Julian Becker taucht einen Apfelspalt in Honig und beißt genussvoll hinein. Der 15-jährige Gymnasiast ist beim Kiddusch dabei, zu dem die Israelitische Kultusgemeinde Bamberg an Rosch Haschana ins Gemeindezentrum eingeladen hat. »Schana towa!« kommt es Julian mit seinen spitzbübisch blitzenden Augen fröhlich von den Lippen. Er wünscht seinen Tischnachbarn ein »gutes, süßes Jahr« und stimmt in die Bitte von Chasan Arieh Rudolph ein, Gott möge jeden gütig beurteilen.
Für Julian ist es eine Selbstverständlichkeit, die Hohen Feiertage mitzufeiern: »Bewusst religiös«, wie der junge Mann sagt. An Jom Kippur nimmt er sogar schulfrei. »An Sukkot muss ich aber zur Schule«, bedauert er. Auch findet er schade, dass es nicht möglich ist, auf dem kleinen Balkon der elterlichen Wohnung eine Sukka zu errichten. »Ich besuche aber die Gemeinde-Sukka«, betont Julian mit großem Nachdruck. Schließlich werde die immer besonders schön geschmückt. Und ihm sei es wichtig, das Fest gemeinsam mit Jung und Alt zu feiern.
Religiös Die Kippa sitzt auf seinen dunklen Locken perfekt. Trägt er die immer? Julian wehrt ab: »Ich will mich nicht gleich outen«, räumt er ein. Er trage die Kippa daheim nur, wenn zum Essen eine Bracha gesprochen werde. Koscheres Essen? Julian verzieht ein wenig die Mundwinkel. »Nicht extrem koscher«, sagt er zögernd.
Die 14-jährige Alexia Makorov beginnt zu lachen. Nein, sie esse überhaupt nicht koscher. Zumal es in ihrem Elternhaus kein religiöses Leben gebe. Ihre Mutter sei zwar Jüdin, ihr Vater jedoch Christ. Beide stammten aus der Ukraine. Doch sie ließen es zu, dass sich ihre Tochter der Kultusgemeinde angeschlossen habe. »Hier lerne ich, was jüdisches Leben ist«, sagt Alexia und fügt mit dem Brustton der Überzeugung hinzu: »Ich bin stolz, Jüdin zu sein.« Sie genieße die Feiern, die Gottesdienste mit Rabbinerin Antje Yael Deusel, die Vorfreude auf Sukkot und all die anderen Feiertage, die sie in ihrer Identität stärken.
Zurückhaltender gibt sich Dmitri Bajew. »Ich bin nicht so religiös und gläubig«, bekennt der 21-jährige angehende Informatik-Student. Er habe an Rosch Haschana lediglich seine Schwester Sophia (6) zum Kindergottesdienst begleitet. »Ist mal ‹was anderes«, gibt er sich betont cool. Auch an Sukkot werde er in die Synagoge gehen, obwohl seine Eltern, die 1997 aus Kirgistan nach Bamberg kamen, keinerlei Verbindung zum Judentum hätten.
Anreize Die Leiterin der Jugendarbeit in der Gemeinde, Sozialarbeiterin Tatiana Manastyrskaia, seufzt auf: »Es ist schwer, Jugendliche anzulocken«, weiß sie aus Erfahrung. Vor allem dann, wenn es überhaupt kein Rüstzeug aus dem Elternhaus gebe. Immerhin habe sie es geschafft, dass ein »harter Kern« von sieben jungen Leuten zu den Gottesdiensten und zu den Hohen Feiertagen kommt. Dass es »ein langer Weg ist bis zum Beten und koscheren Essen«, erlebe sie im Umgang mit den ihr Anvertrauten. Tatiana Manastyrskaia hat jedoch einen Weg gefunden, »unterschwellig religiöse Inhalte auf höchstem Niveau« zu vermitteln, wie sie sagt.
Die rührige Frau versammelt die Jugendlichen in einer Theatergruppe, die einmal die Woche probt. Über die biblischen Bezüge der ausgewählten Stücke wird diskutiert. Entscheidende Stellen werden erklärt und anschließend wichtige Kenntnisse über das Judentum vermittelt. Der Lohn für die harte Arbeit ist dann der tosende Beifall der Älteren, die eine Theaterpremiere besuchen.
Spielerisch Rabbinerin Deusel schart die jüngsten Gemeindemitglieder um sich. Sie erteilt den Kindern Religionsunterricht. Und versteht es, die Kleinen zu fesseln. So zum Beispiel im Kindergottesdienst, als sie Mädchen zu sich ruft und sie bittet, sich neben sie zu stellen. Gemeinsam summen sie die Melodie des Adon Olam, gemeinsam befühlen sie das Schofar, gemeinsam beten sie das Schma Israel. Die Rabbinerin öffnet den Toraschrein, erklärt den Kindern, was sie sehen. So manche Mama, so mancher Opa, die mit in der Synagoge sitzen, lernen dabei auch noch etwas. Um die Zukunft der 900-köpfigen Bamberger Gemeinde muss einem nicht bange sein.