Sonntagabend ist Tatortzeit, am vergangenen Wochenende mit den Münchner Kommissaren Leitmayr und Batic – und einem Toten im Jüdischen Gemeindezentrum. »Ein ganz normaler Fall« sollte es sein – und doch war die 60.Tatortsendung schon im Vorfeld etwas Besonderes. Im Restaurant »Einstein« im Gemeindezentrum der Münchner Kultusgemeinde gab es ein Public Viewing mit dem Drehbuchautor Daniel Wolf. Bereits am Montag zuvor waren dazu Hunderte Menschen an den Jakobsplatz geströmt. Die IKG und der Bayerische Rundfunk hatten im Hubert-Burda-Saal zur Preview des Films mit anschließender Podiumsdiskussion eingeladen.
Dort sprachen neben der Moderatorin Amelie Fried auch Präsidentin Charlotte Knobloch, Andreas Bönte vom Bayerischen Rundfunk, Michael Brenner vom Lehrstuhl für Jüdische Geschichte der Ludwig-Maximilians-Universität, Miroslav Nemec und Udo Wachtveitl, die Darsteller der Kommissare Batic und Leitmayr, sowie Drehbuchautor Daniel Wolf.
Sie diskutierten, warum dieser »ganz normale Fall« eben doch nicht so normal war. Im Film hatte dies die Justiziarin der Gemeinde im Gespräch mit den Kommissaren auf den Punkt gebracht: »Wie würden Sie reagieren, wenn ich Sie ständig als atheistischen Mitbürger und Sie als Mensch mit katholischen Wurzeln bezeichnen würde? Wir sind Juden. Juden, auch wenn das mal ein Schimpfwort war. Behandeln Sie alle hier so, als wäre das ein ganz normaler Fall.« Kommissar Leitmayr antwortet ihr: »Normal ist es nicht, wenn man ständig über Normalität reden muss.«
Probleme Wie sieht es nun im Umgang mit Normalität, Vorurteilen und Klischees in der Realität aus? Amelie Fried stellte diese Frage als Erste in den Raum. Als problematisch bezeichnete es Charlotte Knobloch, wenn es heißt: »Man wird das doch noch mal sagen dürfen.« Das kennzeichne die Schwierigkeit, die man auch im Film feststellen konnte – und das belaste auch eine Normalität. »Die Verkrampftheit zu lösen, ist nicht nur unsere Aufgabe«, betonte die Präsidentin, »das ist die Aufgabe der Gesamtgesellschaft.«
Anders als für die Justiziarin im Film ist für Charlotte Knobloch »das Wort Jude heute immer noch das, was es damals war: Ein Schimpfwort«. Gleichwohl blickt sie aber nach vorne: »Wir sollen in die Zukunft schauen. Die jungen Menschen stehen nicht in Verantwortung für das, was geschah, sondern dafür, dass das in der Zukunft nicht mehr passiert.« Wichtig ist für sie, »dass wir uns auf Augenhöhe unterhalten, dass man einsieht, dass der andere gar nicht so anders ist«. Dass diese Meinung inzwischen von vielen geteilt wird, bestätigte der spontane Applaus aus dem Publikum.
Fettnäpfchen Dennoch bleibt eine Herausforderung, dass mancher alles richtig machen will, wie im Film der Staatsanwalt. Aber gerade auf diese Weise macht man am Ende alles falsch. Dazu meinte Michael Brenner: »Es ist schwierig, alles richtig zu machen, weil so viele Fettnäpfchen im Raum stehen. Dachau ist nicht weit, ist noch präsent, man wird daran erinnert in einer Stadt wie München.«
Aber die jüdische Geschichte sei nicht nur Dachau oder Auschwitz, sondern ein ganz breites Spektrum. Befangenheit sei aber noch da: »Der Film zeigt, dass man an so ein Thema in Deutschland noch ganz anders heran geht als in den USA oder Frankreich. Hier wird jeder Film gleich ein Grundkurs Judentum. Wenn das mal vorbei ist – in dem Moment, in dem man über Normalität sprechen muss, ist sie noch nicht da.«
Wie sehr die deutsche Vergangenheit prägt, wurde an der Antwort von Miroslav Nemec auf Frieds Bemerkung deutlich, dass er im Film abgeklärter wirke als sein Kollege. Als Kroate, so Nemec, empfinde er anders. Doch jeder habe »sein nationales Päckchen« wie er den Krieg von 1995 zu tragen.
Er erinnert aber auch daran, dass es in Kroatien im Zweiten Weltkrieg Tendenzen gab, mit Nazi-Deutschland zu paktieren. Dabei sind auch Juden ums Leben gekommen. Udo Wachtveitl interessiert Judentum als »kulturhistorisches Phänomen, nicht als Unterscheidung«. Anders als im Film der Kommissar, war der Schauspieler in Dachau, das er als beklemmend erlebt hat. Mit der Geschichte des Nationalsozialismus hat er sich bereits als Gymnasiast auseinandergesetzt.
Königsdisziplin Die Idee zu diesem Film stammt von der Agentur von Daniel Wolf, der Mitglied der Münchner IKG ist. Nach zwei Filmen mit jüdischen Themen –Zores (2006) und So ein Schlamassel (2010) habe ihn vor allem die Möglichkeit gereizt, einen Tatort zu schreiben – für einen Drehbuchautor immerhin die »Königsdisziplin«. Insgesamt sei es gelungen, zu zeigen, dass es in jüdischen Gemeinden die gleichen Probleme gibt wie überall anders auch.
Der Programmbeauftragte des Bayerischen Rundfunks, Andreas Bönte, fand vor allem die Tatsache gut, dass es dem Film gelungen sei, zu zeigen, dass Juden keine heimatlosen Menschen sind. »Sie sind angekommen.« Angekommen nicht nur am Jakobsplatz, wie Charlotte Knobloch ergänzte, »sondern auch bei vielen Menschen in ihren Herzen«.