Mitzvah Day, der Tag der Begegnung und der guten Taten, und das im Teil-Lockdown der Covid-19-Pandemie – ist das möglich? »Ein deutliches Ja«, antwortet Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland. »Gerade jetzt sehnt man sich nach etwas Schönem und Erfreulichem. Wir wollen ab dem 15. November, dem Mitzvah Day, in diesem Jahr den ganzen Monat zum grünen November machen.«
Mund-Nasen-Maske Grün wie der Mitzvah Day sind auch die Mund-Nasen-Masken, die es in diesem Jahr in den obligatorischen Ausstattungspäckchen des Zentralrats gibt. Bisher durften darin T-Shirts, Aufkleber, Wimpel und Dekomaterial nicht fehlen, in diesem Jahr ist es der Mund-Nasen-Schutz.
Statt Wimpel gibt es in diesem Jahr Mund-Nasen-Schutz in Grün.
Mit dem Mundschutz ausgestattet, lassen sich viele Projekte verwirklichen – auch in diesem besonderen November. »Alles, was im Klassenverband gefertigt, gebastelt und musiziert werden kann, ist möglich.« Schülerinnen und Schüler der Klasse 9a der Frankfurter Lichtigfeld-Schule haben Geschichten auf Deutsch und Russisch eingelesen und verschicken die Audiodateien an Menschen im Altersheim. Andere bieten eine kurze Theateraufführung im Hof, sodass Senioren von ihren Balkonen aus zusehen können.
Viele Projekte erinnern an den Beginn der Pandemie, als junge Leute für die Älteren einkaufen gingen und Besorgungen übernahmen. »Jede Idee, die zu einer guten Tat führt und unter Corona-Bedingungen stattfinden kann, ist willkommen«, formuliert Daniel Botmann das Ziel.
Und nie war die Hilfe so wertvoll wie in diesem Jahr. »Wir wollen eine Challenge daraus machen, zu guten Taten anregen, den guten Spirit über den Mitzvah Day hinaus verbreiten und sagen: Wir schaffen das wieder«, sagt Botmann.
Einsamkeit Die Idee des Mitzvah Day ist, Zeit und gute Taten zu verschenken. In diesem Jahr ist die Minderung von Einsamkeit und Armut ein Schwerpunkt. Durch Kontaktsperren, Social Distancing, sind 2020 viele ältere Juden noch einsamer, als sie es ohne Familie, alleinstehend und alleine lebend ohnehin schon sind. Spontane Besuche sind schon seit Monaten nicht möglich. Aber anrufen kann man – auch das ist ein Projekt des Mitzvah Day.
Mehr als in den vergangenen Jahren basteln Schüler und Kindergartenkinder an Grußkarten zu jeder Gelegenheit, mit Geburtstags- und Genesungswünschen oder schon auf Chanukka ausgerichtet.
In Leipzig wollten Mitglieder der Gemeinde gemeinsam Päckchen packen. Jetzt haben sie ihre Aktion auf »Zoom« umgestellt und packen Spielsachen, Kleidung, alles, was sie gesammelt haben und was in Überraschungspakete passt, vor dem heimischen Computer zusammen und nennen es »Glück in der Box«. Die kleinen Pakete werden in der Gemeinde in einer großen Box gesammelt und an Waisenkinder in Israel, Estland, Russland und der Ukraine verschickt, wo sie Freude bereiten sollen.
Junge Studierende in Brandenburg verstehen ihre Hilfe ganz direkt und rufen zum Blutspenden auf. Andere Studenten backen oder wollen sich an der Aktion »Essen auf Rädern« beteiligen. Die Hilfen sind in diesem Jahr für viele Menschen nahezu lebensnotwendig. So sammeln Gemeinden haltbare Lebensmittel für die Tafel in ihrer Stadt, denn die Spenden sind in diesem Pandemie-Jahr massiv eingebrochen. »Der Mitzvah Day ist Anlass und Initialzünder, um wieder an das soziale Gewissen zu appellieren«, sagt Daniel Botmann.
Mitglieder von Gescher LaMassoret in Köln musizieren zu zweit vor Seniorenwohnungen.
Mitinitiatorin und -organisatorin Hannah Dannel weiß, dass viele Projekte, die die Gemeinden vorgeschlagen haben, gar nicht an einem Tag zu bewerkstelligen sind. Die Gelsenkirchener Gemeinde geht in den Wald und hängt Vogelhäuschen auf. Der jüdische Sportverband Makkabi bietet Plogging an, einen Dauerlauf, bei dem Müll aufgesammelt wird – ein Dienst an der Umwelt im Rahmen des Mitzvah Day. Eine Familie sammelt schon zum wiederholten Male Strandgut vom Nordseestrand und bastelt etwas daraus. Und Mitglieder der liberalen Jüdischen Gemeinde Gescher LaMassoret in Köln musizieren zu zweit vor Seniorenwohnungen.
Engagement Trotz der erschwerten Bedingungen in diesem Jahr freut sich Hannah Dannel über das große Angebot und Engagement. Lediglich ein Drittel der sonstigen Projekte fehlt in diesem Jahr – zum Teil auch, weil der direkte Kontakt zu anderen Menschen nicht möglich ist, sagt sie.
Dennoch beteiligen sich rund 2000 Personen an rund 100 Aktionen deutschlandweit. War in den vergangenen Jahren im »Sonnenschein für Senioren« die Begegnung der Generationen der Hit, sind es in diesem Jahr das Basteln und Bemalen von Grußkarten. Das lässt sich auch zu Hause allein oder mit Geschwistern bewerkstelligen. Und später kann man dann auf die wunderschönen Karten zurückgreifen, wie es die Chessed-Gruppe der Synagoge Oranienburger Straße in Berlin macht, ein Verein, der sich um die Kranken und Alten in der Gemeinde kümmert.
Viele melden sich noch kurz vor dem Mitzvah Day und wollen mit guten Taten helfen.
Vieles muss aus der Distanz gelöst werden, sagt Hannah Dannel. Sie erzählt, dass einige Aktive auch noch kurz vor dem Tag der guten Taten anrufen, sich entschuldigen, dass sie sich erst so spät melden, aber unbedingt noch mitmachen möchten und nach Ideen fragen.
Ideen Eine Idee, die Erfolg verspricht, sei, im Sozialbüro der Gemeinde nachzufragen, wo man helfen kann. Da gibt es immer etwas zu tun, sagt Dannel. Doch sie und Geschäftsführer Daniel Botmann wissen auch, dass nicht nur die Beschenkten an diesem Tag Freude empfinden, sondern die Akteure selbst den Mitzvah Day herbeigesehnt haben.
»Dieses Jahr brauchen die Kids den Mitzvah Day mehr als sonst«, weiß auch Nurith Schönfeld, Fachleiterin Religion an der Frankfurter Lichtigfeld-Schule. »Die ganze Schule braucht in diesen Corona-Zeiten etwas Schönes, auf das sich alle freuen können – und das ist der Mitzvah Day! Wir hatten schon keine Pessach-Feier, keine gemeinsame Rosch-Haschana-Feier, und was mit Chanukka sein wird, weiß auch niemand. Grün ist die Hoffnung dieses Jahr: Mitzvah-Day-Grün«, sagt die Pädagogin. Dem können Dannel und Botmann nur zustimmen.