Maskenpflicht statt roter Teppich, Sicherheitsabstand statt Premierengedränge: Die Eröffnung des 26. Jüdischen Filmfestivals Berlin & Brandenburg (JFBB) zeigte deutlich, welchen Einfluss die Corona-Pandemie auch auf das kulturelle Leben hat. Denn während das Festival normalerweise mit einer feierlichen Gala im Potsdamer Hans Otto Theater startet, ging es dieses Mal im kleinen, unabhängigen City Kino Wedding im gleichnamigen Berliner Stadtteil los. Ebenso fiel das Schaulaufen prominenter Gäste dieses Jahr aus.
»Das ist heute ein Family-and-Friends-Abend«, betonte Festivalleiterin Nicola Galliner zur Begrüßung. Ganz ohne Prominenz war die Eröffnung indes nicht: Der israelische Botschafter Jeremy Issacharoff kam mit seiner Familie, der Europapolitiker Sergey Lagodinsky reiste extra aus Brüssel an.
NOSTALGISCH Unter diesen Bedingungen entfaltete der Abend mit seinen etwa 50 Gästen eine fast schon intim anmutende Atmosphäre – und das umso mehr, als es das letzte Festival unter Galliners Leitung ist. Moderiert vom rbb-Filmexperten Knut Elstermann, geriet die Eröffnung so auch zu einem nostalgischen Rückblick.
Mit dem Festival habe Nicola Galliner zeigen wollen, dass das Judentum etwas Lebendiges, Vielfältiges ist und Israel nicht dem Bild entspricht, das in den Nachrichten oft präsentiert wird.
»Wir fingen 1995 im kleinen Kino Arsenal in der Welserstraße an«, erinnerte sich Galliner. »Damals zeigten wir gerade einmal acht Filme, es war ein Experiment – und die Leute überrannten uns.« Mit dem Festival habe sie zeigen wollen, dass das Judentum etwas Lebendiges, Vielfältiges ist und Israel nicht dem Bild entspricht, das in den Nachrichten oft präsentiert wird.
Doch Galliner ging auch auf die Herausforderungen ein, welche die Organisation einer derartigen Veranstaltung inmitten einer Pandemie darstellt: »Schon im Mai wurde uns von unseren Förderern mitgeteilt, dass das Geld für die große Eröffnungsgala weg ist.« Mit der Verlegung eines Teils des Festivals ins Internet sei dann der Wegfall weiterer Mittel begründet worden. »Online sei ja alles günstiger«, so Galliners ironischer Kommentar.
HYBRID Tatsächlich habe die hybride Veranstaltungsweise zusätzlichen Aufwand bedeutet: Verhandlungen mit Verleihern, Bereitstellung der technischen Infrastruktur und ähnliche Herausforderungen. Nichtsdestotrotz können nun fast alle der 44 Festivalfilme als Stream im Netz geschaut werden, bei 30 von ihnen gibt es zudem ein Zusatzprogramm in Form von Diskussionen oder Gesprächen mit den jeweiligen Filmschaffenden.
Fast alle der 44 Festivalfilme können als Stream im Netz geschaut werden, bei 30 von ihnen gibt es zudem ein Zusatzprogramm in Form von Diskussionen oder Gesprächen mit den jeweiligen Filmschaffenden.
Eines dieser Angebote ist ein Interview, das Knut Elstermann per Videochat mit Yaron Zilberman, dem Regisseur des Eröffnungsfilms Incitement, führte. Der Film, zu Deutsch: Anstiftung, erzählt die Geschichte des Jurastudenten Jigal Amir, der am 4. November 1995 den israelischen Ministerpräsidenten Yitzhak Rabin erschoss. Im Gespräch, aus dem ein Ausschnitt bei der Eröffnung gezeigt wurde, nennt Zilberman die Ermordung Rabins »eines der bedeutendsten Dramen der israelischen Geschichte«.
Er selbst sei damals Teil der Pro-Rabin-Bewegung gewesen: Das Attentat habe nicht nur ein Tabu gebrochen, sondern auch den Glauben vieler Israelis erschüttert – »ein Trauma auf persönlicher und kollektiver Ebene«, so Zilberman. Incitement endet mit Original-Aufnahmen des Attentats – und dem Applaus des Premierenpublikums.
NEBENEFFEKT Der direkt im Anschluss gezeigte Film zeichnet Amirs Leben in den zwei Jahren vor seiner Tat unglaublich dicht nach. Subtil gelingt es dem Drama, das dokumentarische Einblendungen nutzt, emotionale Distanz zu seinem Protagonisten aufzubauen, obwohl dieser in fast jedem Bild nah zu sehen ist. Gleichzeitig beschreibt Incitement eine angesichts des Oslo-Friedensprozesses tief gespaltete israelische Gesellschaft.
Es ist ein bewusst gewählter Film, hatte Galliner dieser Zeitung im Vorfeld erklärt: »Nach Halle ist dieser Film auch für Deutschland relevant. Denn er zeigt eines sehr deutlich: Es gibt keine Einzeltäter.« Incitement endet mit Original-Aufnahmen des Attentates – und dem Applaus des Premierenpublikums.
Obwohl die Festivaleröffnung damit schon beendet war, blieben einige Besucher noch sitzen, vertieft in Diskussionen über das Gesehene. So wirkt es insgesamt, als hätten die Corona-Einschränkungen einen unerwarteten Nebeneffekt: Sie fokussieren die Aufmerksamkeit auf das, was auf der Leinwand (oder dem heimischen Bildschirm) passiert.