Köln

Große Erwartungen

Foto: PR

Köln

Große Erwartungen

Eine neue Schriftenreihe gibt vielversprechende Einblicke in das künftige MiQua-Museum

von Frank Olbert  19.12.2021 06:18 Uhr

Das MiQua, das Jüdische Museum in Köln, ist derzeit zweierlei: überirdisch eine Baustelle, unterirdisch eine Ausgrabungsstätte. Es wird die Archäologie des alten jüdischen Viertels mit einer bis in die Gegenwart reichenden Ausstellung verbinden, wenn es einmal fertig ist. 2025 soll das Haus nach heutigem Stand eröffnen.

Bis es so weit ist, gibt sich das MiQua unter Leitung seines designierten Direktors Thomas Otten bereits auf anderen Wegen seine Programmatik: durch die Beteiligung an einer Vorlesung der Universität Köln, mit der das Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« eingeläutet wurde, durch eine Tagung im vergangenen Frühjahr und wesentlich durch eine Schriftenreihe, deren erster, die Fachtagung dokumentierender Band nun vorliegt: Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland.

positionen Er verspricht, »aktuelle Fragen und Positionen« zu behandeln. Das Buch verknüpft bruchlos wissenschaftliche Akkuratesse mit der Ansprache eines großen Publikums. Sämtliche Beiträge sind großzügig illustriert, am Ende des Buches übernehmen die Bilder sogar komplett die Regie, denn hier mündet alles in ein großes Fotofinale mit Abbildungen von archäologischen Funden aus Köln: schmückendes Dekor, das möglicherweise von der Bima der mittelalterlichen Synagoge stammt, Alltagsgegenstände wie die Überreste einer Lampe, ein Fragment mit hebräischen Schriftzeichen.

Der besondere Reiz des Buches liegt im Ehrgeiz des Herausgeber-Teams, beachtliche Zeitbögen zu schlagen.

Der besondere Reiz aber liegt im Ehrgeiz des Herausgeber-Teams, beachtliche Zeitbögen zu schlagen – vom Mittelalter in die Moderne, von der Antike in die Zeit der Emanzipation oder hinein ins Jahr 1986, als das von Salomon Korn erbaute jüdische Gemeindezentrum in Frankfurt eingeweiht wurde und der Architekt vier Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von einem Ort neuer Sesshaftigkeit sprach.

Die Schoa lässt dieses facettenreiche Buch natürlich nicht aus, daneben widmet es sich aber auch vielfach vernachlässigten Kapiteln wie jüdischen Erfahrungen in der Heimat des verordneten Antifaschismus, der DDR, denen sich die Autorin Lisa Schoß über das Medium Film nähert – ein analytischer Glanzpunkt dieses Bands.

»kolumba« Thomas Otten stellte das Buch gemeinsam mit seinen Mitherausgeberinnen Laura Cohen und Christiane Twiehaus an einem bedeutungsvollen Ort vor – im erzbischöflichen Museum »Kolumba«, wo zuletzt zwei für das spätantike und das mittelalterliche Judentum zentrale Schriften ausgestellt waren beziehungsweise immer noch sind: der Amsterdam Machsor, der die Liturgie der Kölner Gemeinde stiftete, und der Codex des römischen Herrschers Theodosius, der ebenjenes Dekret des kaiserlichen Vorgängers Konstantin enthält, das in diesem Jahr der Grund zum Feiern ist. Die theodosianische Gesetzessammlung musste bereits wieder dorthin zurückreisen, wo sie seit vielen Jahren gehütet wird, in den Mauern des Vatikans.

Bis in den Sommer 2022 aber ist die Ausstellung In die Weite noch zu besichtigen, und dort wird man vieles finden, was auch im Buch ausführliche Erwähnung findet: der Amsterdam Machsor natürlich, ein illuminiertes, also reich verziertes Gebetbuch, das künftig auch im MiQua immer wieder ausgestellt werden soll. Oder der Goldring aus dem mittelalterlichen jüdischen Viertel in Köln, der in einer Latrine gefunden wurde. Oder Schätze aus den Genisot, die überraschend weltlich sind, wie die jiddischen Versionen deutscher Volksbücher, vom Tapfferen Helden Wieduwilt etwa oder die Historie fun der schene Melusina.

Tagung und Ausstellung, vielfältige Aktivitäten im Festjahr und nun eben das Buch als Introitus einer Schriftenreihe – all das fügt sich zu einem imaginären Raum, der das zukünftige MiQua mehr als nur erahnen lässt. Allein der vorliegende Band schon weckt große Erwartungen, nämlich auf ein kraftvolles neues Forum für Geschichte und Gegenwart des Judentums in Deutschland. Frank Olbert

Laura Cohen, Thomas Otten, Christiane Twiehaus (Hrsg.): »Jüdische Geschichte und Gegenwart in Deutschland«. Nünnerich-Asmus, Oppenheim 2021, 176 S., 25 €

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025

Literatur

Die Zukunft Israels hat längst begonnen

Der Schriftsteller Assaf Gavron stellte im Jüdischen Gemeindezentrum seinen aktuellen Erzählband vor

von Nora Niemann  14.04.2025

Porträt der Woche

Eigene Choreografie

Galyna Kapitanova ist IT-Expertin, Madricha und leitet eine Tanzgruppe

von Alicia Rust  14.04.2025

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 11.04.2025

Kaiserslautern

»Jetzt beginnt etwas Neues«

Mehr als fünf Jahre hat sich die Sanierung des Gemeindehauses der Jüdischen Kultusgemeinde der Rheinpfalz in Kaiserslautern hingezogen. Am Sonntag wurde das Zentrum mit der neu gestalteten Synagoge seiner Bestimmung übergeben

von Joachim Schwitalla  11.04.2025 Aktualisiert

Feiertage

Pessach ist das jüdische Fest der Freiheit - und der Frauen

Die Rolle und Verdienste von Frauen würdigen - dafür ist Pessach eine gute Gelegenheit, sagen Rabbinerinnen. Warum sie das meinen und welchen Ausdruck diese Perspektive findet

von Leticia Witte  11.04.2025

Erinnerungen

Als Charlotte Knobloch ihren ersten Kaugummi aß

Als jüdisches Mädchen überlebte sie die Nazizeit in einem Versteck, bis die Amerikaner ins Dorf kamen. Für Charlotte Knobloch ist das Kriegsende mit süßen und dramatischen Erinnerungen verbunden

 11.04.2025

Pessach

Lang, länger, Seder

Schnell mal eben feiern? Von wegen. Für den ersten Abend muss man sich Zeit nehmen – warum eigentlich? Und wie kommen alle gut unterhalten bis zum Afikoman? Wir haben nachgefragt

von Katrin Richter  11.04.2025

Pessach

Kraft und Zuversicht

Das jüdische Volk war von jeher stark und widerstandsfähig – wir werden auch die Herausforderungen der heutigen Zeit bestehen

von Charlotte Knobloch  11.04.2025