Nach über acht Jahrzehnten sind Teile einer verloren geglaubten Torarolle aus der Görlitzer Synagoge wieder aufgetaucht. Ein evangelischer Pfarrer, mittlerweile im Ruhestand, hat sie mehr als ein halbes Jahrhundert sicher auf- und das Geheimnis darum bewahrt und nun an die Stadt übergeben, wie er berichtete.
»Jetzt sind sie in guten Händen, es wird niemand achtlos damit umgehen«, sagte Uwe Mader der Deutschen Presse-Agentur. Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU) versprach, dass die Torafragmente nach der Inventarisierung und Aufarbeitung auch ausgestellt werden.
Pergament Die vier vermutlich 300 Jahre alten Fragmente auf Pergamentpapier seien in der Pogromnacht am 9. November 1938 in letzter Minute aus der brennenden Synagoge gerettet worden, so Mader. »Sie wurden in Eile, aber sachkundig aus der Tora geschnitten, der heiligen Schrift der jüdischen Kultusgemeinde.«
Wer das gemacht habe, müsse des Hebräischen mächtig gewesen sein. »Es sind nicht nur Beschreibungen der jüdischen Geschichte, sondern aussagekräftige Dokumente, darunter die Josefgeschichte aus dem 1. Buch Mose.« Sie seien seinem Vater, einem damals jungen Polizeianwärter, in die Hände gedrückt worden.
Der hatte sie auf Anraten eines Rechtsanwalts einem Pfarrer übergeben, damit sie vor den Nationalsozialisten sicher sind. Dessen Witwe vertraute sie 1969 dem jungen Mader an, der damals Vikar war, »unter dem Siegel der Verschwiegenheit«, wie der fast 80-Jährige berichtete. Der spätere Polizeiseelsorger hütete die handbeschriebenen Pergamentbänder wie seinen Augapfel. »Ich war sehr misstrauisch.« Die Politik in DDR-Zeiten sei nicht sehr judenfreundlich gewesen. »Daher war klar, dass ich Dienstverschwiegenheit wahren musste.«
Wende Erst habe er sie unter Tapetenrollen im Amtszimmer versteckt, wo keiner herumstöberte, dann in einem alten Stahlblechschrank der Polizei, einem Geschenk nach der Wende. »Den Schlüssel dazu hatte ich immer bei mir.« Die Entwicklung der Synagoge und der Gesellschaft in Görlitz sprachen nun dafür, sein Schweigegelübde zu brechen und sie in das Ratsarchiv zu geben, so Mader.
»Die Zeit des Misstrauens ist vorbei.« Er habe die Entwicklung der Stadt aufmerksam verfolgt und speziell die der Synagoge, die nach Jahrzehnten des Verfalls und der Sanierung im Juli als Kulturforum wiedereröffnet worden war.
Das Gotteshaus der Görlitzer Juden hatte als einzige Synagoge in Sachsen die Pogromnacht 1938 überstanden. Die Torarollen waren verschwunden. Bisher war angenommen worden, dass sie komplett verbrannt waren. dpa