Beitenu – Unser Haus» nennt die Liberale Jüdische Gemeinde in Hameln ihr Zentrum. In diesem Jahr feiert sie ihr 20-jähriges Bestehen. Ihre Geschicke wurden vor allem von Frauen bestimmt. Eine Amerikanerin, Rachel Dohme, und eine Frau aus der ehemaligen Sowjetunion, Polina Pelts, gründeten die Gemeinde 1997. 15 Jahre amtierte Rabbinerin Irit Shillor in der Gemeinde, gefolgt von der in Ost-Berlin geborenen Ulrike Offenberg, die erst kürzlich zur Rabbinerin ordinierte wurde.
«Ich finde es wichtig, dass wir in Hameln als Frauen diese Arbeit machen und zeigen, dass es nicht eine reine Männerdomäne ist», sagte Offenberg kurz nach ihrer Amtseinführung im November 2016. Die Historikerin und Mutter von drei Kindern sieht sich in der niedersächsischen Stadt in einer gewissen Tradition, denn auch Glückel von Hameln, eine bekannte Kauffrau im 18. Jahrhundert, war eine erfolgreiche jüdische Frau.
Global Rachel Dohme ist die Vorsitzende des Gemeinderates. Die Sonderpädagogin kam vor mehr als 30 Jahren aus einer konservativen jüdischen Gemeinde im US-Bundesstaat Pennsylvania nach Deutschland und berichtet, wie sie damals Irit Shillor aus London nach Hameln holte: «Wir haben beim Leo Baeck College angefragt, ob Rabbinerstudenten uns unterstützen könnten, und dann kam Irit Shillor kurz vor ihrer Ordination zu uns.» Als sie dann die Smicha hatte, «war sie bereit, uns einmal im Monat zu unterstützen, und war 15 Jahre lang unsere ›fliegende Rabbinerin‹», erzählt Rachel Dohme, die aus Liebe zu einem deutschen Unternehmer ins Weserbergland kam.
Für die 1950 in Jerusalem geborene Irit Shillor war der Weg zum geistlichen Amt im Judentum nicht vorgezeichnet. Ihr Vater kam aus Ungarn und ihre Mutter aus Wien. Beide lernten sich 1939 auf dem Gebiet des heutigen Staates Israel kennen und heirateten später auch dort. «Ich bin in Israel säkular groß geworden», erzählt sie. «Dennoch haben wir die Bibel mindestens dreimal durchgelesen, und wir haben Talmud studiert und selbstverständlich jüdische Geschichte, jüdische Rituale und die Feste gefeiert – auch in einer säkularen Schule», sagt sie rückblickend.
Als die Mathematikerin später mit ihrem Mann und zwei Töchtern nach England ging, wo sie bis heute lebt, war ihr die Einbindung ihrer Kinder in eine jüdische Gemeinde wichtig. So kam Irit Shillor wieder stärker mit der jüdischen Religion in Berührung. Weil sie Hebräisch beherrschte, las sie aus der Tora und begann zu einem Zeitpunkt, als bereits ihre jüngste Tochter studierte, am Leo Baeck College in London mit dem Rabbinatsstudium. Später wirkte sie in der liberalen jüdischen Gemeinde in Wien und anschließend, bis Ende November 2016, in Hameln als Rabbinerin.
«Ich bin sehr stolz, dass ich hier in Deutschland beim Aufbau des jüdischen Gemeindelebens helfen konnte», sagt sie rückblickend, «obwohl es für Menschen wie mich, die in Israel aufgewachsen sind und viele Angehörige hatten, die in der Schoa ermordet wurden, nicht immer leicht war, in Deutschland zu arbeiten. Aber ich glaube, es ist so wichtig, weil das bedeutet: Hitler hat nicht gewonnen.»
Synagogenbau In der Zeit des Rabbinats von Irit Shillor kam auch die Idee für den Synagogen-Neubau in Hameln auf. Seit dem 20. Februar 2011 steht dieser Bau am historischen Ort. «Die Idee eines Neubaus kam von Rachel Dohme. Sie ist in Amerika herumgefahren und hat Geld dafür gesammelt, denn sie wollte unbedingt die Synagoge an dem Platz bauen, wo die alte 1938 zerstörte Synagoge stand», erzählt die Rabbinerin.
Die besondere architektonische Form, ein Oval, sei auch Zeichen für den Neubeginn. «Die Eiform ist für unsere Gemeinde sehr symbolreich, weil wir auch erst wiedergeboren werden mussten – das passt einfach zu uns», sagt Rachel Dohme. Zu je einem Drittel beteiligten sich die jüdische Gemeinde, die Stadt Hameln und das Land Niedersachsen an der Finanzierung der Synagoge.
Zuhause Den Namen dieses ersten Neubaus einer liberalen Synagoge in Deutschland in der Nachkriegszeit, «Beitenu – Unser Haus», haben die Mitglieder aus zehn Vorschlägen ausgesucht. «Es ist wirklich mein Zuhause», betont die fast 80-jährige Polina Pelts vom Vorstand der Gemeinde. «Ich habe in meinem Leben kein eigenes Haus gebaut und bin immer sehr traurig, wenn ich einmal keinen Termin hier habe. Ich muss einfach jeden Tag hier sein», sagt die Seniorin.
Ihre neue Rabbinerin Ulrike Offenberg lobt Rachel Dohme als «sehr, sehr engagiert», auch wenn sie weiß, dass diese einiges anders machen wird. «Wo Irit sehr liberal war, ist Ulrike etwas konservativer, zum Beispiel ihre Art, einen Gottesdienst oder den Unterricht zu leiten, das ist etwas traditioneller», sagt Dohme. «Doch das ist die Freiheit des Judentums und besonders des liberalen Judentums, weil dort Raum für alles ist.»
Am 2. April feierte die Gemeinde erst einmal für sich. Am 11. Juni lädt sie dann die Öffentlichkeit zu ihrem 20-jährigen Jubiläum ein.