Sie drehen sich, immer mehr, immer schneller. Die Augen sind meditativ verschlossen, die Arme weit ausgestreckt. Das wallende weiße Gewand schwingt im Rhythmus der Drehung mit. »Dass denen nicht schwindlig wird«, flüstert ein Mann im Publikum seiner Sitznachbarin ins Ohr.
Sich tanzend immer wieder um die eigene Achse zu drehen, ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Für einen trainierten Derwisch aber ist das kein Problem. Der sogenannte Sema-Tanz sei eine Form des meditativen Gebets und Teil der islamischen Sufi-Tradition, erklärt Ersin Cicek, einer der »drehenden Derwische«, nach der tänzerischen Darbietung auf der Bühne vor einem gut gefüllten Saal.
Die Gruppe trat als einer der vielen künstlerischen Acts an diesem sommerlich heißen Sonntag im Rahmen von »Faiths in Tune« auf – die Werkstatt der Kulturen in Neukölln hatte zum ersten Festival der Religionen in Berlin geladen.
konzept »Interreligiöser Dialog funktioniert am besten, wenn man sein Gegenüber nicht zuerst als Angehörigen einer bestimmten religiösen Gemeinschaft wahrnimmt, sondern als Mensch. Über die Musik wollen wir das Gespräch und den Respekt zwischen Menschen verschiedener Glaubensrichtungen fördern«, erklärt Festivaldirektorin Anja Fahlenkamp.
Mit ihrem Verein »COEXIST – Interfaith Music Festival« hat die 25-Jährige das Fest auf die Beine gestellt. Nachdem die gebürtige Berlinerin bereits in ihrer Studienstadt London mehrere Festivals organisiert hat, bei denen Menschen verschiedener Religionszugehörigkeiten miteinander feiern, wollte sie die Idee auch in Berlin umsetzen.
»Schon seit Langem setze ich mich gegen Rassismus und für Dialog ein. Ich weiß selbst, was es heißt, einer religiösen Minderheit anzugehören«, begründet Fahlenkamp, Tochter des Berliner Kantors Jochen Fahlenkamp, ihre Motivation.
Wie in der britischen Hauptstadt stieß das Konzept auch in Berlin auf großes Interesse. So war der Veranstaltungssaal bei allen Vorführungen gut besucht, ebenso wie der »Markt der Vielfalt« im Innenhof, wo sich die verschiedenen Religionsgemeinschaften mit Informationsständen vorstellten und kulinarische Spezialitäten anboten. Familien mit Kindern gehörten zu den Besuchern, aber auch viele ältere Berliner.
duo Das Musikprogramm war so bunt wie vielfältig: Neben den tanzenden Derwischen konnten die Gäste den Klängen eines Gesangsduos der Bahai zuhören oder die Rhythmen hinduistischer, alevitischer, buddhistischer und schintoistischer Musiker kennenlernen. Neben christlichen Chorälen waren auch Rastafari-Bands, Hare-Krishna-Gesangsgruppen und Sänger der afro-brasilianischen Candomblé-Religion vertreten.
Auch das jüdische Aletchko-Duo begeisterte mit seinen originellen Kompositionen klassischer, osteuropäischer und israelisch-orientalischer Rhythmen.
»Für mich als jüdischer Musiker ist es wichtig, ein Projekt zu unterstützen, das Menschen zusammenbringt und zum multikulturellen Miteinander beiträgt – und genau das ist der Gedanke beim Festival der Religionen«, sagt Alexej Kochetkov, Geigenvirtuose und einer der beiden Protagonisten des Musikerduos.
verständigung Organisatorisch ermöglicht wurde der kostenfreie Besuch des Festivals durch Fördermittel der Berliner Lottostiftung. Die Gelder dafür kamen auch dank Unterstützung aus der Politik zusammen. Raed Saleh, Fraktionsvorsitzender der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus, hatte sich seit Langem für ein interreligiöses Sommerfest eingesetzt.
Als er von Anja Fahlenkamps Projekt der »Faiths in Tune« hörte, war er sofort Feuer und Flamme. »In einer Stadt wie Berlin, in der Menschen so vieler Religionen zusammenleben, ist interkulturelle Verständigung besonders wichtig«, sagte der Politiker in seiner Rede zur Eröffnung des Fests.
Es sei Aufgabe seiner Generation, die bestehenden Gräben zwischen den Religionen und Kulturen in der Stadt zu überwinden. Einen besseren Weg als über das gemeinsame Feiern könne es gar nicht geben, so Saleh.