Ein Sammelsurium religiöser Versatzstücke, spiritistisches Fast Food, ein Geschäft – ist das die Spiritualität im 21. Jahrhundert? Einige Kunstwerke in der Ausstellung Beyond Belief lassen es glauben. Etwa Enrico Pietraccis Madonna mit einer Gloriole aus Wegwerfbesteck, die man sich als Visitenkarte mit dem Aufdruck »Religion to go« mitnehmen kann.
Oder Saralisa Volms Video, in dem sie die mit jeder Menge billiger Metaphysik angereicherte Self-Care-Kultur auf die Schippe nimmt. Statt Wohlfühlen im eigenen Körper zu propagieren und Anweisungen zum Glücklichsein zu geben, fordert sie den Betrachter auf: »Don’t calm down«.
geist Oder der Beitrag des iranischstämmigen Künstlers Hassan Hashemi, der einen verfremdeten Hundertmarkschein zeigt, auf dem die Komponistin Clara Schumann abgebildet ist. Könnte heißen: Geld und Geist gesellt sich gern.
Im »Haus Kunst Mitte« werden aktuell Kunstwerke gezeigt, deren gemeinsamer Nenner die Frage ist, was heute bleibt von Religionen, vom Glauben, von der Hoffnung auf Erlösung und Versöhnung. Neben einigen Klassikern wie Joseph Beuys oder Georg Baselitz werden vor allem zeitgenössische Künstlerinnen und Künstler ausgestellt. Darunter auffallend viele, die aus Israel stammen.
Etwa Mikhal Gamzou, die mit ihrer Installation »Psalms« vertreten ist. Man sieht biblische Texte, die auf ein halbes Dutzend brüchig wirkender Baumrinden geschrieben sind, die senkrecht im Raum stehen. Die Schrift ist an manchen Stellen ausgeblichen, wirkt gewollt unfertig. Das ist auch als eine Absage an den Perfektionismus der Sofrim, der jüdischen Schreiber, zu verstehen, die sich beim handschriftlichen Kopieren der Heiligen Texte keinen einzigen Fehler erlauben dürfen. Und doch: Mit ihrem Kunstwerk verwirft Gamzou die jüdische Tradition nicht, sondern bleibt ihr verbunden.
statement Da, wo Religion verhandelt wird, ist die Politik nie fern, und die Auswahl der ausgestellten Künstler ist in der Tat ein politisches Statement. Vertreten sind nämlich auch viele Repräsentanten muslimischer Länder, etwa Aisha Juma, die in den Vereinigten Arabischen Emiraten lebt und in Beyond Belief eine Reihe stark verfremdeter Porträts ausstellt, die sie mittels ihrer Methode des »automatic drawing« schafft.
Die Ausstellung wird sowohl von der Abu Dhabi Music & Arts Foundation als auch von der israelischen Botschaft unterstützt – ein Novum.
Ob ihre Werke ohne das erst letztes Jahr abgeschlossene Abraham-Abkommen, dem Friedensvertrag zwischen Israel und einigen Golfstaaten, so selbstverständlich neben denen israelischer Künstler hängen würden? Britta Adler, die Kuratorin der Ausstellung, glaubt das nicht. »Das Abkommen hat überhaupt erst diese ungewöhnliche Kooperation ermöglicht«, sagt sie.
Beyond Belief wird sowohl von der Abu Dhabi Music & Arts Foundation als auch von der israelischen Botschaft unterstützt, und deren oberster Diplomat, Jeremy Issacharoff, und seine Amtskollegin aus den Emiraten, die Botschafterin Hafsa Al Ulama, haben die Ausstellung gemeinsam eröffnet. Und das am 17. September – fast auf den Tag genau ein Jahr nach Abschluss des Abraham-Abkommens.
SPIRITUALITÄT Beyond Belief bringt aber nicht nur muslimische und jüdische Perspektiven auf das Thema Spiritualität zusammen. Es sind Kunstwerke vertreten, die von den unterschiedlichsten religiösen Hintergründen geprägt sind. Wir sehen Gemälde von protestantischer Schlichtheit und Plastiken, überfließend mit katholischem Barock. Wir sehen knallbunte Mandalas, wie sie in indischen Religionen üblich sind, und sogar ein begehbares Hexenhaus samt Pentagramm und Traumfängern.
Das Motiv der deutsch-israelischen Fotografin Halina Hildebrand ist der Wald, dem sie mit dem Mittel der Doppelbelichtung eine mystische Dimension verleiht, und die israelische Drusin Fatma Shanan – ihre Arbeit ist ein Highlight der Ausstellung – bringt in ihrem Gemälde die knalligen Farben und einfachen Muster ihrer Herkunftskultur mit realistischer, figurativer Malerei zusammen.
Etwas allerdings scheint in den Werken von Beyond Belief seltsam abwesend zu sein: Gott. Vielleicht hier mal ein Hinweis, dort eine Hand, die die seine sein könnte – viel mehr aber nicht. Das mag jeder interpretieren, wie er möchte.