Musik

Gipfeltreffen in Steglitz

Starker Auftritt: Ira Shiran (Akkordeon) und Ares Gratal (Saxofon) begleiteten den Shalom-Chor bei seinem Jubiläumskonzert. Hemi Levison (r.) dirigiert das Ensemble seit zwei Jahren. Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Nikola David dürfte die weiteste Anfahrt gehabt haben. »Ich habe den ICE Sprinter von München nach Berlin genommen, um rechtzeitig hier zu sein«, sagt er lachend am Sonntagnachmittag. Denn für ihn stand fest, dass er das Jubiläumskonzert des Shalom-Chors auf keinen Fall verpassen möchte.

Schließlich hatte er den Chor einige Jahre geleitet, bevor er Kantor bei der liberalen jüdischen Gemeinde Beth Shalom in München wurde. Nun singt er beim Konzert leise einige Lieder mit und sieht zufrieden aus. »Ich bin stolz auf das Ensemble, denn es hat sich weiterentwickelt und ist gewachsen.« Und er sei glücklich, dass er einige Jahre den Chor dirigieren durfte.

Der Shalom-Chor feierte am Sonntag sein 30-jähriges Bestehen in der Kapelle der Baptistengemeinde in Steglitz, wo er jeden Dienstag probt.

Der Gemeindechor wurde kurzerhand zum Shalom-Chor umfirmiert

Vor drei Jahrzehnten wurde der Oberkantor der Jüdischen Gemeinde Berlin, Estrongo Nachama, von der Baptistengemeinde zu einem Gespräch eingeladen. Der Kantor stellte klar, dass er nicht reden, sondern nur singen könne. »Habt ihr auch einen Chor?«, wollte er wissen – was der Fall war. Der Gemeindechor wurde kurzerhand zum Shalom-Chor umfirmiert. Mit vielen neuen Sängerinnen und Sängern entwickelte sich der Chor im Laufe der Jahre zu einer selbstständigen Gemeinschaft. Estrongo Nachama begleitete »seinen« Shalom-Chor bis zu seinem Tode im Jahr 2000 als Solist. Zum Repertoire gehören liturgische Werke und israelische Chormusik.

Eröffnet wird das Konzert am Sonntag mit »Ma Tovu« in der Version von Louis Lewandowski. »Zwei Juden, drei Meinungen« – mit diesen Worten führt Hemi Levison, Dirigent des Chores, das »Ein Keiloheinu« ein – das es ebenfalls in mehreren Fassungen gibt. Es folgen Werke von Louis Lewandowski, Paul Ben-Chaim und einige Bearbeitungen von Hemi Levison. Gesungen wird auf Hebräisch.

Mit Humor und Leidenschaft dirigiert Hemi Levison den Chor.

Vor der Pause bereichert das Duo Davagariko das Programm. Mit Akkordeon, Saxofon und Gesang interpretieren Ares Gratal und Ira Shiran traditionelle Lieder neu, die seit Jahrhunderten von sefardischen Juden gesungen werden. Sie sind geprägt von Nostalgie, Liebe und Hoffnung.

Nach der Pause begrüßt Hemi Levison noch einmal das Publikum: »Es ist eine Freude, dass Sie nach der Pause wiedergekommen sind und bis zum Ende bleiben«, meint er lachend. Dynamisch, humorvoll und voller Leidenschaft dirigiert er den Chor. Seine Zuneigung zur Musik und zu den Sängerinnen und Sängern ist spürbar. Und die Choristen folgen seinem Dirigat aufmerksam.

»Jeder Dienstag ist ein neues Abenteuer«

»Jeder Dienstag ist ein neues Abenteuer«, sagt er später. Seine Liebe zur Musik, zum Singen und zur jüdischen und israelischen Kultur, die er mit seinen Sängern teilen kann, lasse ein großartiges Gefühl entstehen. »Gemeinsam hoffen wir, das Verhältnis zwischen Christen- und Judentum zu verbessern, um eine tolerantere Gesellschaft aufzubauen, in der wir alle leben können.« Auch er sei stolz auf den Chor.

Assaf Levitin stellt sich zum Dirigenten, begrüßt mit einem Augenzwinkern den Chor und übernimmt den Solopart des Gebets »Hashkivenu«. Das Gebet hat er selbst vertont. Alle Musiker bekommen lang anhaltenden Applaus. Am Klavier begleitet Svetlana Stepovaja einfühlsam den Chor. Am Schluss muss der Chor noch eine Zugabe geben – das begeisterte Publikum zeigt sich unnachgiebig.

Dass Hemi stolz auf den Chor ist, kann Assaf Levitin gut nachvollziehen, denn er hat ihn von 2015 bis 2022 geleitet. »Ich habe es sehr geliebt und gern gemacht«, sagt der Kantor, der in Hamburg in der Reformgemeinde amtiert. »Hemi hat nun eigene Ideen und konnte das Repertoire erweitern«, sagt er anerkennend. Die Chorleute kommen, um miteinander zu sein und zusammen jüdische Musik zu singen. »Ich sehe, dass es weitergeht mit dem Ensemble, was mich sehr freut.«

Erst allmählich verlassen die Zuhörer den Saal, und einige Leute fangen an, die Stühle und Notenständer wegzutragen.

Pedro Elsbach fand »erst« vor 19 Jahren die Zeit, regelmäßig zu den Proben zu kommen.

»Ich glaube, es war unser bestes Konzert, das wir je gegeben haben«, sagt Nicole Gentz, die seit 20 Jahren dabei ist. Sie stammt aus Kanada und nahm vor vielen Jahren Hebräischunterricht. »Da sagte mein Lehrer Nicky Yantian, dass seine Frau Regina noch Sänger sucht für den Chor«, erinnert sie sich. Seitdem ist sie fast jeden Dienstag dabei. »Unsere Musik ist meine Liturgie«, meint sie. Regina Yantian hatte viele Jahre die Leitung inne.

Die erste Barmizwa in Berlin nach der Schoa

Pedro Elsbach war 13 Jahre alt, als er Barmizwa hatte. Davor nahm er Unterricht bei Estrongo Nachama – und mochte das gemeinsame Singen mit dem Kantor. Zu seiner Feier lud er seine ganze Schulklasse ein. »Es war die erste Barmizwa in Berlin nach der Schoa«, sagt er. Das war im Jahr 1963.

Seine Familie emigrierte in der Nazi-Zeit von Deutschland nach Uruguay. 1956 kam sie wieder zurück nach Berlin. »Früher nahm ich auch einmal Gesangsunterricht, aber dann hatte ich beruflich zu viel um die Ohren«, meint Pedro Elsbach. Aber er fand und findet die Musik einfach toll. Vor 19 Jahren »erst« hatte er die Zeit, die Proben des Shalom-Chors regelmäßig zu besuchen – seitdem weiß er, was er dienstags vorhat.

Im Publikum saß auch Sara Nachama, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und Schwiegertochter von Estrongo Nachama. Ein paar Plätze weiter lauschte Isaac Sheffer, Kantor der Synagoge Pestalozzistraße, der Musik. »Die Idee, die hinter diesem Chor steht, finde ich unglaublich gut«, sagt er. Als Solist sei er mit dem Chor aufgetreten, vor allem bei den Israel-Gottesdiensten. Es seien nun einige neue dazugekommen, hat er bemerkt. Was den Chor auszeichne, sei vor allem, dass die Sängerinnen und Sänger Spaß haben und lieben, was sie machen.

Mit etwa 30 Choristen tritt das Ensemble regelmäßig in Berlin und in anderen deutschen Städten sowie bei Konzerten in Israel und bei europäischen jüdischen Chor-Festivals auf.

Einen anderen wichtigen Auftritt hatte der Chor vor Kurzem bei der Einweihung des Estrongo-Nachama-Platzes in Dahlem.

Der Shalom-Chor freut sich über neue Sängerinnen und Sänger (www.shalom-chor-berlin.de/kontakt). Das nächste Konzert findet am 13. Juli, 17 Uhr, in der Nicolaikirche Oranienburg statt.

Gespräch

»Es ist noch längst nicht alles verloren«

Sie sind jung, jüdisch und leben in Ostdeutschland. Zwei Wochen nach den Erfolgen der rechtsextremen AfD in Thüringen und Sachsen fragen sie sich: Sollten wir gehen? Oder gerade jetzt bleiben?

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.09.2024

Vertreibung

Vor 600 Jahren mussten die Juden Köln verlassen - Zuflucht auf der anderen Rheinseite

Die älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen - und dann ist auf einmal Schluss. Vor 600 Jahren verwies Köln seine Juden der Stadt. Viele zogen darauf gen Osten, manche kamen dabei nur ein paar Hundert Meter weit

von Johannes Senk  19.09.2024

Magdeburg

Jüdischer Kalender für 5785 in Sachsen-Anhalt veröffentlicht

Bereits vor Rosch Haschana ist er als Download verfügbar

 18.09.2024

Augsburg

Jüdische Kulturwoche beginnt in Bayerisch-Schwaben

Führungen, Konzerte und Workshops stehen auf dem Programm

 18.09.2024

Berlin

Für die Demokratie

Ehrenamtspreis für jüdisches Leben für das EDA-Magazin und »BeReshith«

von Katrin Richter  17.09.2024

Hochschule

»Herausragender Moment für das jüdische Leben in Deutschland«

Unter dem Dach der neuen Nathan Peter Levinson-Stiftung werden künftig liberale und konservative Rabbinerinnen und Rabbiner ausgebildet. Bei der Ausbildung jüdischer Geistlicher wird die Uni Potsdam eng mit der Stiftung zusammenarbeiten

von Imanuel Marcus  17.09.2024

Würdigung

Ehrenamtspreise für jüdisches Leben verliehen

Geehrt wurden das »EDA-Magazin« und der Verein BeReshit aus Sachsen-Anhalt

 16.09.2024

Hannover

Leib und Seele sind vereint

Die bucharische Gemeinde eröffnete in ihrem neuen Zentrum drei Mikwaot

von Michael B. Berger  16.09.2024

München

Wehmütig und dankbar

Die Religionslehrerin Michaela Rychlá verabschiedet sich nach knapp 30 Jahren in den Ruhestand

von Luis Gruhler  15.09.2024