13. Februar 1945

Geteiltes Gedenken

12.000 Menschen bildeten am Montagabend in Dresden eine Menschenkette. Foto: dpa

Irgendwo auf der Welt ist immer Krieg. Auch in der Ukraine, dem Heimatland von Fayina Koyfman. Sie ist Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu Dresden und findet es wichtig, so wie Tausende andere Bürger, der Bombardierung Dresdens durch britische und amerikanische Flugzeuge am 13. Februar 1945 zu gedenken. Wie viele andere Gemeindemitglieder trug Fayina Koyfman am Montag eine kleine weiße Stoffrose, das Symbol dieses Tages, und reihte sich in die Menschenkette ein.

Wichtig ist der 43-Jährigen diese Geste auch, weil sie sich als Dresdnerin fühlt. Seit 16 Jahren lebt die Zuwanderin in der Elbestadt. Ihre beiden Söhne wurden hier geboren. »Meine Kinder wollten wissen, weshalb das ein besonderer Tag für Dresden ist, und ich habe es ihnen erzählt.« Ihr Sohn Artur, neun Jahre alt, bekräftigt: »Ich bin ein richtiger Dresdner.«

Und auch, wenn er in der Schule noch nichts über die Bedeutung dieses Tages gelernt hat, hat er begriffen, dass die Dresdner den 13. Februar 1945 einfach nicht vergessen können. Bis zu 25.000 Menschen sollen bei den Angriffen umgekommen sein. Laut einer aktuellen Umfrage, durchgeführt von der Technischen Universität (TU) Dresden, wollen 81 Prozent der Dresdner an dem Gedenktag festhalten.

Zivilgesellschaft
Seit einigen Jahren rufen die Stadt, die Religionsgemeinschaften, darunter auch die Jüdische Gemeinde, die Universität und eine Vielzahl politischer und zivilgesellschaftlicher Organisationen am Tag der Erinnerung zur Menschenkette auf. Hand in Hand bilden Dresdner und Gäste einen Ring um die Innenstadt – so auch an diesem Montag, als sich 12.000 Menschen auf einer Strecke von vier Kilometern die Hand zur Versöhnung und gegen Rechtsextremismus reichten.

Denn ursprünglich ist das Ritual als symbolischer Schutzwall gegen Neonazis gedacht, die viele Jahre lang den Tag der Bombenangriffe für ihre Zwecke missbrauchten und ihn zum Anlass nahmen, durch Dresden zu marschieren – mitunter direkt an der Synagoge vorbei. In den vergangenen Jahren konnten die Rechtsextremen dank Gegendemonstrationen und Sitzblockaden einige Male ihre sogenannten Trauermärsche nicht abhalten, sondern nur lokale Kundgebungen.

An diesem Montag gab es in Dresden keinen Aufmarsch der Rechten. Der hatte schon am Samstag stattgefunden, und zwar gleich doppelt. Zunächst trat der 2015 wegen Volksverhetzung und Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole verurteilte Gerhard Ittner auf. Später am Samstagnachmittag marschierten auf Initiative lokaler Rechter etwa 650 Personen auf. Die Polizei leitete sie an den friedlichen Sitzblockaden der Neonazi-Gegner vorbei.

Zeichen Dass die Rechtsextremen dieses Jahr wieder durch Dresden ziehen, passt für Rabbiner Alexander Nachama ins Bild: »Es gibt nach wie vor zu viele Gelegenheiten für rechte Aufmärsche.« Um ein Zeichen gegen Rechtsextremismus zu setzen, reihte sich Nachama am Montagabend ebenfalls in die Menschenkette vor der Synagoge ein.

Der Platz vor der Synagoge und dem jüdischen Gemeindezentrum ist bei vielen Dresdnern ein beliebter Ort für das friedliche Gedenken. Nicht nur, wenn – wie am Montag – der kleine Parkplatz vor dem Gemeindehaus zur »gewaltfreien Zone« deklariert wird und dort das Jugendrotkreuz ein Zelt zum Aufwärmen aufstellt und heiße Getränke ausschenkt. Es ist vielen Dresdnern ein Bedürfnis, gerade an diesem Tag die Verbundenheit mit ihren jüdischen Mitbürgern zu zeigen. Einige treffen sich mit weißen Rosen in der Händen am Gemeindezentrum. Später legen sie Blumen vor dem Gedenkstein ab, der an die von den Nationalsozialisten vernichtete Semper-Synagoge erinnert.

Die »Arbeitsgemeinschaft 13. Februar«, zu der auch die Jüdische Gemeinde gehört, setzt sich für einen differenzierten Blick auf die Geschichte ein und will weg vom Dresdner »Opfermythos«. Unter anderem erinnert der Verein Hatikva, die Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen, daran, dass die Bombenangriffe die Deportation der letzten Juden aus Dresden verhinderten.

In seiner Rede zum Auftakt der Menschenkette am Montag wiederholte Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert seine Aussage, dass Dresden keine unschuldige Stadt gewesen sei. Während des Nationalsozialismus habe die NSDAP in Dresden Mehrheiten um sich versammeln können, wie in keiner anderen Großstadt. »Hier gab es Rüstungsproduktion, Kriegsvorbereitung, Zwangsarbeit, Judenverfolgung.«

wiederaufbau Hilbert hielt seine Rede auf dem Neumarkt zu Füßen des Kunstwerks »Monument« des deutsch-syrischen Künstlers Manaf Halbouni. Es besteht aus drei aufrecht stehenden Bussen, die der Bevölkerung in Aleppo als Schutz vor Scharfschützen dienten. Die Busse stehen symbolträchtig direkt gegenüber der Frauenkirche, dem Dresdner Sinnbild für den Wiederaufbau. Ein Werk, um das in Dresden heftig gestritten wird, abermals mit rechtsradikalen Untertönen.

So hat ein Dresdner Bürger beim Verwaltungsgericht einen Eilauftrag auf einstweilige Verfügung gegen Halbounis Kunstwerk gestellt. Einige bezeichnen die Busse mit dem Nazi-Terminus als »entartete Kunst«. Aber es gibt auch Dresdner, die das Mahnmal unterstützen, wie Kerzen, Blumen und Botschaften wie »Nie wieder Krieg« am »Monument« zeigen.

Oberbürgermeister Hilbert betont in seiner Rede, die Pflicht, Kriegsopfern und Menschen in Not zu helfen. Auch den Überlebenden der Bombenangriffe vor 72 Jahren sei geholfen worden: »Dresden war 1945 eine zerstörte Stadt, so wie es Aleppo und viele Städte in Syrien oder auch der Ostukraine heute sind. Unser Erinnern muss eine Brücke in die Gegenwart schlagen, um relevant zu bleiben. Das Schicksal der Leidenden betrifft uns in einer globalisierten Welt direkt.«

Katastrophen Ausdrücklich hatte Dresden in diesem Jahr den 13. Februar in den Kontext heutiger humanitärer Katastrophen gestellt. Am Theaterplatz erinnert die Installation »Lampedusa 361« an die vielen Menschen, die auf ihrer Flucht nach Europa sterben. Die Kunstakademie zeigt die Graphic Novel Freedom Hospital von Hamid Sulaiman über ein Untergrundkrankenhaus in Syrien.

»Ich denke nicht, dass unser Erinnerungsvermögen, unsere Anteilnahme für unschuldige Opfer, unser Mitleid mit Menschen, die alles verloren haben, so begrenzt und klein ist, dass es nicht auch andere einschließen kann«, sagte der Oberbürgermeister.

Eine Meinung, die offenbar nicht von einer Gruppe geteilt wird, die nur einige Meter von der Rednertribüne entfernt Schilder hochhält, auf denen sie die »Entwürdigung« Dresdens beklagt und in den Farben der Reichsflagge verkündet: »Wir gedenken unserer Toten.« Mit der Betonung auf »unserer«.

Da ist die 14-jährige Anna gedanklich schon weiter. »Ich will mich heute in die Menschenkette einreihen, um mich mit all den anderen Leuten hier zu solidarisieren. Erinnerung ist wichtig – sie wird auch in 150 Jahren noch wichtig sein«, meint das jüdische Mädchen.

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