Ein Siegelring mit Menora aus dem 4. Jahrhundert, Moses Mendelssohns Brille, ein Tagebuch aus dem Ghetto – drei Objekte, die für jüdische Geschichte in ihrer Verwobenheit mit nichtjüdischen Nachbarn stehen. Es sind drei von insgesamt 58 Objekten, die das Projekt »Shared History – 1700 Jahre jüdisches Leben im deutschsprachigen Raum« des Leo Baeck Institute New York/Berlin ausmachen, in dessen Rahmen am Mittwoch die dazugehörige Ausstellung eröffnet wurde.
Die physische Ausstellung mit 27 Glaspaneelen befindet sich im Paul-Löbe-Haus. Sie soll bis zum 23. April dort zu sehen sein. Wegen der Corona-Schutzmaßnahmen wurde sie ins Internet verlegt. Der Vorteil: Der dreidimensionale, virtuelle Raum kann ohne Fahrt nach Berlin von allen Interessierten jederzeit besucht werden.
SCHWERPUNKT Geschichte ist neben historischen Jahreszahlen, übergreifenden Ereignissen und kollektiver Erinnerung immer eine Essenz individueller Geschichten. Das Projekt legt dabei den Schwerpunkt auf geteilte Erfahrungen. Hier das jüdische Leben in der Diaspora, dort die tiefe Verflechtung mit der jeweiligen Kultur, Politik und Wirtschaft in den mitteleuropäischen Ländern des deutschsprachigen Raums. So erzählen die Objekte von den frühesten Nachweisen jüdischer Präsenz bis zur Gegenwart, beginnend in den römischen Provinzen des Rheinlandes, endend im Deutschland und Österreich von heute.
Nutzer können sich ein Konto einrichten und Materialien herunterladen, sodass Texte und Fotos auch zum Beispiel im Unterricht weiterverwendet werden können.
Wie wichtig die Kenntnis dieser Geschichte ist, hebt auch Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hervor: »Dass wir uns erinnern, ist wichtig. Es darf niemals eine lästige Pflichtübung werden. Und es sollte beim Gedenken auch immer wieder die Frage gestellt werden, wie wir heute, im 21. Jahrhundert, alle Bürger dieses Landes schützen können. Hass bedroht uns nämlich am Ende alle – nicht nur eine Minderheit.«
Spannend ist der gesamte Kontext des jahresumgreifenden Projekts. So gibt es einen übersichtlich und modern aufbereiteten bilingualen Webauftritt. Dort findet man neben der virtuellen Ausstellung gut aufbereitete Hintergrundinformationen zu den einzelnen Objekten. Nutzer können sich ein Konto einrichten und sich Materialien herunterladen, sodass Texte und Fotos auch zum Beispiel im Unterricht weiterverwendet werden können. Zu jedem Foto, zu jedem Objekt findet sich neben der Beschreibung nicht nur eine zeitliche und örtliche Zuordnung – anschaulich in einem Zeitstrahl dargestellt –, sondern auch die Möglichkeit, längere Texte zum betreffenden Thema zu lesen.
GEWÜRZTURM Historische Essays und persönliche Geschichten hinter den Objekten werden nach und nach veröffentlicht, so bleibt das Projekt im Fluss. Dann kann man Genaueres erfahren, welche gemeinsame Geschichte und welche individuellen Geschichten hinter den ausgewählten Objekten liegen. Was hat es mit dem Siegel des Josel von Rosheim auf sich? Warum wurde der rituelle Gewürzturm ausgewählt? Welche Erlebnisse stecken hinter der Landkarte des zwölfjährigen Fritz Freudenheim? Die Objekte zeigen jüdische Geschichte und Alltag über Jahrhunderte hinweg.
Wichtig ist den Verantwortlichen der Bezug auf die greifbare Geschichte – Objekte werden genutzt, »um Geschichte zu lehren und gleichzeitig Geschichtsvergessenheit und Geschichtsverfälschungen entgegenzutreten«, wie es auf der Internetseite heißt. Gefördert wurde das Projekt von #2021JLID – Jüdisches Leben in Deutschland« aus Mitteln des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI).