Ein ernster Blick sucht den Dialog mit dem Betrachter. Zwei dunkle Augen schauen von dem großformatigen Foto – 2,30 Meter hoch und 1,30 breit: Pavel Tichomirow, geboren 1923 in Weißrussland. »Ich wollte die Menschen so zeigen, wie sie sind«, sagt der Weimarer Fotograf Thomas Müller, der seit Jahren Überlebende des ehemaligen Konzentrationslagers Buchenwald ablichtet.
Eigentlich war dazu keine Ausstellung geplant, es war eher sein persönliches Projekt und Anliegen, Menschen wie Naftali Fürst, Gilberto Salmoni, Barney Sidler in ihrer stillen Würde und ihrem Vermächtnis zu bewahren. Und eben auch jenen Pavel Tichomirow, der im Dezember 1944 als Häftling nach Buchenwald kam und überlebte. Ein Mensch mit tiefen Furchen über der Nase, dessen Züge von einem harten Leben erzählen.
Dokumentarisch »Ich wollte sie so authentisch wie möglich porträtieren«, sagt Thomas Müller, »nicht als Kunstobjekt, sondern rein dokumentarisch.« Er habe ihnen keine Vorschriften machen wollen, wie sie sitzen und schauen sollten. »Ich wollte sie so sehen, wie sie sind und sich wohlfühlen.«
Vielleicht liegt darin das Geheimnis der Bilder, die eine tiefe Individualität vermitteln und doch alle ein Faszinosum gemeinsam haben: die Augen. Ein starkes, kontrastreiches Schwarz-Weiß, das den Glanz der Tränenflüssigkeit fast lebendig erscheinen lässt. Der Betrachter fühlt sich augenblicklich im Bann und damit auch im Dialog.
Die Bilder in großen Metallrahmen werden bis Ende September zu sehen sein.
»Genau das wollten wir erreichen«, sagt Martin Kranz, Initiator und Organisator der Open-Air-Ausstellung, einem Gemeinschaftsprojekt der Achava-Festspiele, der Stadt Weimar und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. »Es ist meine Überzeugung, dass es uns gelingen muss, diese Menschen wieder in das Bewusstsein einer Stadt zu bringen und ihre Geschichte auch jenen zugänglich zu machen, die sonst vielleicht nicht in eine Ausstellung gehen würden.« 16 Porträts sind entstanden und damit Biografien sichtbar gemacht worden, deren Details auf einer Webseite auch via QR-Code von jedem Bild aus abrufbar sind.
Prunkachse Zu sehen sind die Motive im öffentlichen Raum, beginnend am Bahnhofsvorplatz der Goethe- und Schiller-Stadt. »Ein bewusst gewählter Ort«, sagt Rikola-Gunnar Lüttgenau von der Gedenkstätte Buchenwald. »Es ist die alte Prunkachse« vom Hauptbahnhof, damals im 19. Jahrhundert errichtet, über das Neue Museum in die Altstadt von Weimar hinein. Im Nationalsozialismus verdichtete sich in dieser Achse wie in einem Brennglas die Politik, um Menschen auszugrenzen.«
Wer damals als Häftling am Bahnhof ankam, wurde nach Buchenwald getrieben, beschimpft, bespuckt und mit Steinen beworfen. »Diese damals Ausgeschlossenen bekommen jetzt eine Präsenz, und es ist heute auch ein Zeichen der Stadt, zu diesen Menschen zu stehen.«
Die Bilder in Metallrahmen werden bis Ende September die Wege der Passanten säumen. Sie erinnern an das andere Weimar und daran, dass an einem Ort wie dem Neuen Museum einst »Entartete Kunst« zu besichtigen war. Nebenan – im damaligen Gauforum – residierte der Reichsstatthalter. »Ein Ort, der sehr eindrucksvoll zeigt, wie diese Volksgemeinschaft damals auf Linie gebracht werden sollte«, sagt Lüttgenau.
Landtagswahl Der Fotograf hat einen Wunsch: »Dass die Menschen beim Betrachten der Bilder innehalten, über ihre eigene und die deutsche Geschichte nachdenken. Der Titel der Open-Air-Ausstellung, Die Zeugen, verweise darauf, dass die Porträtierten einerseits eine grausame Zeit bezeugen können, gleichzeitig aber auch Zeugen der heutigen gesellschaftlichen Entwicklung sind, erklärt Müller. »Das ist mir wichtig, dass man heute auch nachdenkt: In welche Richtung rücken wir derzeit? Gerade jetzt, wenn im Herbst Thüringer Landtagswahlen sind.«