Im Rahmen einer Feierstunde, die wegen der Corona-Beschränkungen ohne Publikum und nur im Online-Format stattfand, hat Ministerpräsident Markus Söder am Dienstagabend für Bayern das bundesweite Festjahr »1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland« eröffnet.
Die virtuelle Zusammenkunft, an der als prominente Vertreter der jüdischen Gemeinschaft Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, und Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, teilnahmen, wurde auf ARD-alpha übertragen und ist in der BR-Mediathek abrufbar.
Bereits in der vergangenen Woche hatte Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte des Freistaats, das umfangreiche Programm vorgestellt, mit dem Bayern am Festjahr mitwirkt: »Wir realisieren Leitprojekte zu jüdischer Geschichte und jüdischem Alltag, richten Veranstaltungen mit Leuchtturmcharakter aus und bündeln landesweit mehrere Hundert Veranstaltungen über das ganze Jahr hinweg.«
Damit, so Spaenle, solle verdeutlicht werden, wie tief und prägend jüdische Kultur in der deutschen und bayerischen Geschichte verwurzelt sei.
edikt Der 1700. »Geburtstag« von jüdischem Leben in Deutschland, der mit dem Festjahr gefeiert wird, geht auf ein Edikt des römischen Kaisers Konstantin aus dem Jahr 321 zurück. Darin wird festgelegt, dass in Köln auch Juden dem städtischen Rat angehören dürfen. Es ist deren erste urkundliche Erwähnung auf deutschem Boden. In Bayern gilt eine Urkunde aus dem Jahr 981 als ältester Nachweis jüdischer Präsenz. Heute, im Jahr 2021, leben hier 18.000 Juden in 15 Gemeinden.
Der Blick auf die 1700-jährige Geschichte fiel beim Online-Festakt nicht ungetrübt aus.
Ungetrübt konnte beim Online-Festakt der Blick auf die 1700-jährige Geschichte der Juden in Deutschland zwangsläufig nicht ausfallen. Zentralratspräsident Josef Schuster etwa wies darauf hin, dass die Nazizeit seit Jahrzehnten zwar intensiv aufgearbeitet werde, die Ausgrenzung von Juden aber immer noch tief in den Köpfen der Bevölkerung verankert sei.
Nach seiner Überzeugung seien weiterhin eine gute Wissensvermittlung in den Schulen und Forschung notwendig. »Bei einem Festjahr«, so Schuster, »darf es nicht bleiben.«
unsicherheit Warum das 1700-Jahre-Jubiläum nicht nur Anlass zum Feiern bietet, darüber sprach IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in ihrem Beitrag für den Online-Auftritt. »Die jüdische Gemeinschaft hierzulande nimmt sehr genau wahr, dass sich das gesellschaftliche Klima ändert. Sie lebt wieder in wachsender Unsicherheit«, sagte sie beim Festakt.
Auf der einen Seite nehme eine rechtsextreme Partei in Zusammenhang mit der Ablehnung eines Gesetzentwurfs, der dem Schutz der Bevölkerung dienen soll, ganz offen den Begriff »Ermächtigungsgesetz« in den Mund – ein Gesetz, das 1933 den Weg für die Verfolgung der Juden freigemacht habe. Auf der anderen Seite entwickle sich auch außerhalb des Rechtsextremismus eine moderne Form des Judenhasses, etwa in Form der BDS-Initiative.
Charlotte Knobloch erinnerte in ihrem Video-Beitrag auch an Rabbiner Leo Baeck, der das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hatte und in den Nachkriegsjahren ein hoch angesehener Repräsentant der jüdischen Gemeinde war.
gemeinschaft Im Jahr 1945 sprach er davon, dass die Epoche der Juden in Deutschland endgültig vorbei sei. Dennoch sei es anders gekommen, stellte Knobloch fest: »Tatsächlich hat sich wieder jüdisches Leben entfaltet. Die jüdische Gemeinschaft existiert, jüdisch-deutsche Geschichte wird weitergeschrieben.«
Im Jahr 1945 sprach Rabbiner Leo Baeck davon, dass die Epoche der Juden in Deutschland endgültig vorbei sei. Dennoch sei es anders gekommen, stellte Charlotte Knobloch fest.
Ihr Blick in die Zukunft fiel gedämpft optimistisch aus. Sicherheit und Zuversicht sollten entscheidende Parameter sein, vor allem aber ein echtes Miteinander mit dem Rückhalt der Mehrheitsgesellschaft und dem Gefühl, den Gefahren unserer Zeit nicht allein begegnen zu müssen.
»Ich glaube an die Zukunft jüdischen Lebens in diesem Land und an die Normalität, die vielleicht nicht wir, aber unsere Kinder und Enkel eines Tages erleben sollen. Dieses Ziel müssen wir auch in unsicheren Zeiten im Blick behalten«, sagte die IKG-Präsidentin.
Auf der Internetseite www.antisemitismusbeauftragter.bayern.de findet sich der bayerische Terminkalender mit umfassenden Aktivitäten, Veranstaltungen und Projekten zum 1700-Jahre-Jubiläum.Dazu gehören beispielsweise ein Vortrag von Altbundespräsident Joachim Gauck, Fachkongresse im Gemeindezentrum, die Conference of European Rabbis mit 400 Teilnehmern oder die Ausstellung Im Labyrinth der Zeiten im Jüdischen Museum München.
projekte Besonderes Gewicht haben Ludwig Spaenles Worten zufolge mehrere »Leuchtturmprojekte«. Die Digitalisierung von rund 300 Archiven ehemaliger jüdischer Gemeinden rechnet er ebenso dazu wie die Inventarisierung von jüdischen Friedhöfen und die Vernetzung digitaler Projekte zu jüdischem Leben in Bayern.
»Wir begreifen das Jahr 2021 als Chance, um deutlich zu machen, dass Jüdinnen und Juden ganz selbstverständlich zu Bayern gehören. Sie sind wesentliche Träger und Gestalter der modernen Gesellschaft«, betonte Bayerns Antisemitismusbeauftragter.