Berlin

Geschichte sichtbar machen

In der Kleiststraße stand einst das Logenhaus. Richard Stern, Gideon Joffe, Josef Schuster, András Kain, Oliver Friederici und Guy Gilady (v.l.) an der neuen Gedenkstele Foto: Rolf Walter

»Das Wichtigste ist, dass die Gedenktafel nun endlich steht«, betont András Kain zufrieden nach der feierlichen Enthüllung. Sechs Jahre lang habe sich der frühere Präsident der Raoul Wallenberg Loge dafür eingesetzt, dass sie am Standort des ehemaligen Logenhauses der B’nai B’rith Loge Berlin in der Kleiststraße installiert wird.

Die Berliner Senatsbehörde für Kultur habe das Projekt federführend begleitet und finanziert. Seit Donnerstag nun steht die Tafel für jeden gut sichtbar, und das nur wenige Meter vom Titanic Hotel entfernt. Zwei Stunden vor ihrer Einweihung herrscht auf dem Areal zwischen der Stele und dem Hotel bereits dichtes Gedränge. Die jüdische Community ist zahlreich vertreten, ebenso Politiker und Interessierte. Mit dabei sind auch Michael Naor und Ralph Hofmann, die Logen-Präsidenten aus Düsseldorf und Frankfurt. Noch ist die Gedenkstele mit einem schwarzen Tuch verhüllt.

»Heute ist Weltglückstag«, sagt Richard Stern, amtierender Präsident von B’nai B’rith Berlin – Raoul Wallenberg Loge, bei seiner Ansprache. Und er freut sich, sie gleich mit enthüllen zu können. Der 20. März sei nicht zufällig gewählt worden. Denn die Deutsche Reichsloge wurde als erste B’nai B’rith Loge auf dem europäischen Kontinent an diesem Datum vor 143 Jahren gegründet.

Kriegsfürsorge für jüdische Soldaten und ihre Familien

Während des Ersten Weltkriegs war B’nai B’rith (Söhne des Bundes) aktiv in der Kriegsfürsorge für jüdische Soldaten und ihre Familien. Wohltätigkeit, Bruderliebe und Eintracht waren und sind die Werte der jüdischen Organisation B’nai B’rith, bei der 1924 der Berliner Gemeinderabbiner und Gelehrte Leo Baeck Großpräsident des gesamten deutschen Distrikts wurde. Damals gab es landesweit 102 Logen mit mehr als 15.000 Mitgliedern.

Wohltätigkeit, Bruderliebe und Eintracht sind die Werte der jüdischen Organisation.

In Berlin waren es neun Logen mit mehr als 2500 Mitgliedern. »Doch dann brach die dunkle Zeit an, als die Nazis an die Macht kamen«, sagt Richard Stern. 1937 wurde die Loge verboten, ihr Vermögen enteignet und das Haus von der Gestapo besetzt. Das Gebäude existiert nicht mehr. »Heute herrscht die Einsicht, dass sich solche unfassbaren Verbrechen nie wiederholen dürfen«, so Stern weiter.

Jahre nach der Schoa gründeten Holocaustüberlebende in Deutschland neue Logen, und zwar in Berlin, Frankfurt, München, Köln und Düsseldorf. »Sie sind Vorbilder, denn Sie haben sich zusammengefunden, um die Welt besser zu machen«, sagt Gideon Joffe, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, mit Blick zu den Logenmitgliedern.

Ein neues Leben im neu gegründeten Staat Israel

Die Gründungsmitglieder der Raoul Wallenberg Loge, die in Berlin im Jahr 1979 ins Leben gerufen wurde, halfen dabei, das jüdische Leben in Deutschland zu gestalten, so der stellvertretende Botschafter des Staates Israel, Guy Gilady. Ebenfalls bauten sich Überlebende ein neues Leben im neu gegründeten Staat Israel auf. »Die enge Verbindung zwischen B’nai B’rith und dem Staat Israel ist heute ein starkes Zeichen der Identität und der unbeugsamen Hoffnung auf eine bessere Zukunft.« Schon vor der Staatsgründung war B’nai B’rith im Jischuw aktiv und trug so zur Stärkung des Fundaments des zukünftigen jüdischen Staates bei.

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Da der stellvertretende Botschafter am 20. März Geburtstag hat, bekommt er einen Strauß Blumen überreicht – wie auch später Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, der an diesem Tag seinen 71. Geburtstag feiert. »B’nai B’rith wurde in Deutschland nach dem unermesslichen Leid der Schoa auch ein Anker für die geschundenen jüdischen Seelen«, sagte Schuster in seiner Ansprache. Und weiter: »Freies Denken, soziale Wohlfahrt und Toleranz bis hin zum Kampf gegen Diskriminierung und Ungerechtigkeit: Mit diesen Werten verbinde ich die Arbeit von B’nai B’rith.«

Für Berlins Kultursenator Joe Chialo (CDU), der kurzfristig absagen musste, sprang Oliver Friederici, Staatssekretär für Gesellschaftlichen Zusammenhalt, ein. 1882, so berichtet er, wurde die erste deutsche Loge hier in Berlin eröffnet. Bereits 15 Jahre später habe man die erste gemischte Loge mit Frauen und Männern ins Leben gerufen. »Die Mitglieder engagierten sich für soziale Projekte, gründeten Waisenhäuser und unterstützen Bedürftige«, so Friederici.

Überlebende und Unterstützer belebten die Logenbewegung wieder

Nach der Schoa fanden sich Überlebende und Unterstützer zusammen und belebten die Logenbewegung wieder. Und so wuchs sie erneut und nun umso stärker mit heute mehr als 500.000 Mitgliedern in zahlreichen Ländern. »Diese Gedenktafel erinnert uns daran, wie wichtig es ist, sich entschlossen für Toleranz, Humanität und Mitmenschlichkeit einzusetzen«, betont der Staatssekretär. »Möge sie ein sichtbares Zeichen der Erinnerung und zugleich ein Leuchtfeuer der Zuversicht sein – ein Aufruf zum Handeln und Versprechen für eine bessere Zukunft. Auch und gerade für das jüdische Leben in Berlin und Deutschland. Heute und in Zukunft.«

Das schwarze Tuch fällt, die Inschrift der Gedenkstele wird sichtbar. Es gibt stürmischen Applaus.

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