Von der »Augsburger Allgemeinen« bis zur »Saarbrücker Zeitung« hat eine Kabinettausstellung im Bayerischen Nationalmuseum im Frühjahr Aufmerksamkeit und wohlwollende Würdigung erfahren. Das Haus hatte die eigenen Bestände gesichtet, und das Ergebnis ist unter dem Titel Silber für das Reich. Silberobjekte aus jüdischen Eigentum im Bayerischen Nationalmuseum vorläufig bis 10. November (mit Option für eine Verlängerung) in fünf Tischvitrinen und zwei jeweils einer Familie gewidmeten Einzelvitrinen zu besichtigen.
Ausstellungen dieser Art gehen zurück auf die »Washingtoner Konferenz über Vermögenswerte aus der Zeit des Holocaust« von 1998. Damals verpflichteten sich die Teilnehmer, »darunter die Bundesrepublik Deutschland, alle Anstrengungen zu unternehmen, während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmte Raubkunst zu identifizieren, ihre rechtmäßigen Eigentümer ausfindig zu machen und für diese Fälle ›gerechte und faire Lösungen‹ zu suchen«, wie es im Vorwort des Kataloges vom Generaldirektor des Bayerischen Nationalmuseums, Frank Matthias Kammel, heißt.
selbstverpflichtung Dieser späten, überfälligen Selbstverpflichtung sind inzwischen in München bemerkenswerte Ausstellungen zuzurechnen. Den Anfang machte 2018 das Münchner Stadtmuseum unter dem Titel Ehem. jüdischer Besitz. Dort hatte man in der NS-Zeit an die 20.000 Objekte »erworben« – von Porzellan, Besteck und Tafelsilber über Möbel aus Privatbesitz bis hin zu Warenbeständen wie den Hüten des Modehauses Rothschild.
Der Staat raubte, Museen und Einzelpersonen bedienten sich.
Ein anderes Beispiel war die Präsentation von Sieben Kisten mit jüdischem Material. Von Raub und Wiederentdeckung 1938 bis heute 2018/2019 im Jüdischen Museum München. Der Zufallsfund aus einem Depotraum im »Museum für Franken« umfasste Raubgut aus Plünderungen im fränkischen Raum im Zuge der Kristallnacht von 1938.
Während diese Ausstellungen eine weitere Dimension der Verbrechen der NS-Zeit – nämlich die systematische Plünderung von jüdischem Besitz – vor Augen führte, war der Beauftragte für Provenienzforschung am Bayerischen Nationalmuseum, Alfred Grimm, vollauf damit beschäftigt, die letzten Lücken der Herkunftsgeschichte von Objekten, die den Verantwortlichen des eigenen Hauses unter den Nägeln brennen mussten, zu erforschen. Das Bayerische Nationalmuseum hatte nämlich vom Leihamt der Stadt München 322 Objekte aus Silber erworben.
»leihhausaktion« Vorausgegangen war die sogenannte Leihhausaktion. Was das im Klartext bedeutete, wurde durch die »Dritte Verordnung auf Grund der Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden vom 21. Februar 1939« präzisiert: »Alle Juden (…) haben die in ihrem Eigentum befindlichen Gegenstände aus Gold, Platin oder Silber sowie Edelsteine und Perlen binnen zwei Wochen nach Inkrafttreten dieser Verordnung an die nach Paragraf 14 der Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens vom 3. Dezember 1938 vom Reich eingesetzten öffentlichen Anlaufstellen abzuliefern.«
Der Staat raubte, Museen und Einzelpersonen bedienten sich, und die Beraubten verloren alles, was einst ihr kultiviertes Leben ausgemacht hatte und was sie in unverschuldeter Notlage selbst hätten veräußern müssen, um ihre Flucht zu finanzieren oder wenigstens ihre tägliche Not zu lindern.
Aus dem Besitz der 74-jährigen Recha Stark ist ein Becher von 1657 geblieben. Das Städtische Leihamt verkaufte ihn 1939 für 26 Reichsmark ans Bayerische Nationalmuseum. Es heißt, sie »verstarb (mit unbekannter Todesursache) am 21.05.1943 in München«. Davon ist auch bei dem 59-jährigen Juristen Karl Isidor Sonnenthal die Rede. Er hinterließ zwei Leuchter (ca. 1749), ein Schnäppchen für 21 Reichsmark. Man kann hier Suizid vermuten, der bei anderen nachgewiesen ist.
Die Besitzer der letzten Objekte im Bestand wurden ermittelt.
Der hoch angesehene Richter Karl Neumeyer und seine Frau Anna, im Juli 2019 durch Erinnerungszeichen in der Königinstraße 35a geehrt, begingen Selbstmord »am 17.07.1941 wegen drohender Deportation«. Es lässt sich erahnen, wie der antike Kelch und Pokal sowie zwei dreiarmige Leuchter den Schabbat- beziehungsweise den Festtagstisch in ihrem jüdischen Haushalt geschmückt haben.
Die Besitzer der letzten 112 Objekte im Bestand des Bayerischen Nationalmuseums sind ermittelt; die Ergebnisse sind im Online-Katalog des Museums sowie in der »Lost Art«-Datenbank des »Deutschen Zentrums für Kulturgutverluste« in Magdeburg eingestellt, sodass sich anspruchsberechtigte Nachfahren melden können.
katalog Alfred Grimm, der Fachmann des Bayerischen Nationalmuseums, verabschiedete sich mit diesem Projekt und dem höchst lesenswerten Katalog in den Ruhestand. Man wird sehen, wie es weitergeht.
Die Kabinettausstellung im Untergeschoss des Museums erreicht man nur über den Museumsshop. Ein einziges Hinweisschild im Innern des Hauses auf dem Weg nach unten macht auf die kleine, aber sehr feine Präsentation aufmerksam. Ein ermäßigtes Ticket oder gar freier Eintritt speziell für die kleine Schau wird nicht angeboten. Dafür tummeln sich drei großflächige Werbeträger auf der Freifläche vor dem Bayerischen Nationalmuseum. Schon jetzt wird damit für eine Ausstellung ab 28. November geworben. Das Thema: »Treue Freunde. Hunde und Menschen«.
Alfred Grimm: »Silber für das Reich. Silberobjekte aus jüdischem Eigentum im Bayerischen Nationalmuseum«. Mit zahlreichen Abbildungen. Dietmar Klinger Verlag, Passau 2019, 118 S., 15 €
Ausstellung in der Prinzregentenstraße 3, bis 10. November, Dienstag bis Sonntag 10 bis 17 Uhr, Donnerstag bis 20 Uhr