Sie, die Sie an der Entstehung des ›DenkOrtes‹ beteiligt waren oder heute an der Einweihung teilnehmen, Sie stehen hier in Verantwortung vor der Geschichte.» Diese Worte richtete Zentralratspräsident Josef Schuster am vergangenen Mittwoch an die rund 50 Teilnehmer der Eröffnung des «DenkOrtes Deportationen 1941–1944».
Auf dem Würzburger Bahnhofsvorplatz erinnern eine lange, bunte Reihe von unterschiedlichen Gepäckstücken – aktuell 47 Koffer, Rucksäcke und Gepäckrollen –, drei Sitzgelegenheiten und vier Informationsstelen an die 2069 aus Unterfranken deportierten Juden aus 109 jüdischen Gemeinden.
Laut dem Würzburger Oberbürgermeister Christian Schuchardt ist der «DenkOrt» der zentrale Knotenpunkt eines Erinnerungsnetzes, das ganz Unterfranken überspannt.
Lyrik Mit Würzburg verbunden war an diesem Nachmittag per Livestream auch die Familie des 1924 in Würzburg geborenen und 2000 verstorbenen israelischen Lyrikers Jehuda Amichai. Einige Verse aus seinem Gedicht «Kleine Ruth» sind in einem aufgeklappten Koffer des von dem Würzburger Architekten Matthias Braun konzipierten «DenkOrtes» zu lesen – auf Hebräisch und auf Deutsch.
Es gelte, die Erinnerung an die NS-Verbrechen wachzuhalten, sagte Schuchardt. Mit dem «DenkOrt Deportationen» sei ein «politischer Ort» entstanden, der lehre, wozu Hass in der Gesellschaft führe – die Erinnerung hieran sei lebensnotwendig.
«Großen Respekt vor der Stadt Würzburg», die am Bahnhofsvorplatz den «DenkOrt Deportationen» eröffnet, bekundete Ludwig Spaenle, der Antisemitismusbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung. Das Denkmal sei ein lebendiger Beleg dafür, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte und auch den dunklen Seiten der eigenen Geschichte in Würzburg nicht verdrängt, sondern aktiv angegangen werde.
Reichsbahn Der promovierte Historiker und CSU-Politiker wies eindringlich darauf hin, dass die Massendeportationen «ein brutales, höchst effizientes Instrument, eine Voraussetzung für den industriellen Massenmord der Nationalsozialisten an den Juden, aber auch an Sinti und Roma» gewesen seien. Als staatlich kontrolliertes Verkehrsmittel habe die Reichsbahn dabei eine zentrale Rolle gespielt, denn sie habe es den Nationalsozialisten ermöglicht, Juden in großer Zahl aus ihrer Heimat zu deportieren, «und zwar gerade in Kriegszeiten möglichst unauffällig und geräuschlos».
Mit dem «DenkOrt» ist auch ein Programm der aktiven Erinnerungsarbeit verbunden.
Das menschenverachtende, funktionalistische Vorgehen der Nationalsozialisten mache immer wieder neu fassungslos. «Einmal durch Gewalt am Bahnhof in ihrer Heimat zusammengetrieben und in die Güterwaggons gepfercht, wurden die Jüdinnen und Juden für die Bevölkerung kaum mehr sichtbar zu den Vernichtungslagern im Osten Europas transportiert und ermordet», sagte Spaenle.
Solidarität Das neue Mahnmal beweise, dass Staat und Gesellschaft in Deutschland Solidarität mit Juden zeigten und dass sich die Gesellschaft in Prävention und Bildung gegen Antisemitismus engagiere. Außerdem könne dieser Ort eine «Kultur des Hinschauens» fördern, damit Juden angst- und sorgenfrei in Bayern und Deutschland leben und Bayern und Deutschland mitgestalten könnten.
Eindringliche Worte für den «DenkOrt» fand Erwin Dotzel, der Präsident des Unterfränkischen Bezirkstags. «Die Szenerie sagt uns: Die Eigentümer dieser Gepäckstücke, die von Nazi-Schergen aus ihren Wohnungen und Häusern getrieben wurden, die entrechtet, schikaniert und schließlich brutal ermordet wurden, diese Menschen kehren niemals wieder.»
Zentralratspräsident Josef Schuster war voll des Lobes über das gelungene Projekt. «Hier ist etwas sehr Gutes entstanden», betonte er. Schuster bedankte sich bei dem Architekten Matthias Braun und der Stadt Würzburg für die gute Zusammenarbeit. Der «DenkOrt Deportationen» sei in zweifacher Hinsicht einzigartig: einerseits, weil vor der Schoa die Dichte jüdischer Gemeinden in Mainfranken deutschlandweit zu den höchsten gehörte. Andererseits sei das Denkmal in Deutschland wegen seiner Form und der zahlreichen, auch jugendlichen Projektbeteiligten singulär.
erkenntnis Der «DenkOrt» symbolisiere sehr gut, dass der Holocaust ein dezentrales Ereignis war. «Es gab zig Orte, an denen Juden lebten und wo sie ab 1933 verfolgt und entrechtet wurden. Es waren zig Orte, in die sie verschleppt wurden und wo sie ermordet wurden. Es gab zig Menschen, die die Deportationen damals beobachteten. Und es waren zig Menschen, die an der Vernichtung der Juden beteiligt waren», sagte Schuster. «Diese Erkenntnis gilt für unsere Region, für Deutschland und für ganz Europa, bis weit in die damalige Sowjetunion hinein.»
Das Denkmal ist ein noch nicht abgeschlossenes Gemeinschaftswerk.
Die Weitergabe der Erinnerung, des Wissens über den Holocaust schuldeten wir daher regelrecht unserer Demokratie, betonte der Zentralratspräsident. Die Juden sähen die Weitergabe der Erinnerung an den Holocaust als persönliche Verpflichtung.
«Wir schulden es unseren ermordeten Großeltern, unseren Verwandten, die nicht zurückkamen und von denen nur ein Gepäckstück am Wegesrand zurückblieb.»
Pädagogik Auf die drei «Säulen» des Denkmal-Projekts verwies die Historikerin Rotraud Ries, Leiterin des vom Bezirk Unterfranken und von der Stadt Würzburg finanzierten «Johanna-Stahl-Zentrums für jüdische Geschichte und Kultur in Unterfranken». Die drei Teile seien das Denkmal, die historische Online-Erinnerung – «DenkOrt 2.0» – und die Erinnerungspädagogik in Verbindung mit rassismuskritischer Arbeit.
Benita Stolz, die Vorsitzende des Vereins «DenkOrt Deportationen», sagte: «Wir haben einen langen Weg hinter uns, und ein langer Weg liegt noch vor uns.» Die zum Mahnmal erstellten Gepäckstücke charakterisierte sie als «wirklich soziales Denkmal». Stolz betonte, dass das Denkmal ein noch nicht abgeschlossenes «Gemeinschaftswerk» sei. «Wer weiß, wann das letzte Gepäckstück gebracht wird», ergänzte sie.
Niemand solle sich genötigt fühlen, sich zu beteiligen. «Überzeugen wollen wir – nicht nötigen. Und dafür nehmen wir uns ganz viel Zeit.» Eine zweite Eröffnung des «DenkOrtes» soll es dann noch mit den Bürgermeistern der 109 unterfränkischen Kommunen geben, in denen 1933 jüdische Gemeinden existierten.