Alexander Friedmann war Psychiater und aktives Mitglied der jüdischen Gemeinde in Wien. Er hat den psychosozialen Dienst ESRA sowie das Jüdische Berufliche Bildungszentrum mitbegründet. Aber der Preis, der heute seinen Namen trägt, ist keinesfalls ein im engsten Sinne jüdischer Preis. Er ging in den vergangenen Jahren an die »Asylkoordination«, ans »SOS-Kinderdorf«, an den Verein zur interkulturellen Gesundheitsförderung »Afya« oder die Organisation »queerbase«, die LGBTIQ-Geflüchtete unterstützt.
In diesem Jahr aber ist er ein jüdischer Preis: Ausgezeichnet wurden das Projekt »Adopt a Safta/Saba« der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) sowie das israelische Projekt »SMILE/Remember DAN«. Im Rahmen des 6. Sozialpsychiatrischen Symposiums von ESRA und dem Psychosozialen Dienst der Stadt Wien wurde der Preis am Mittwoch vergangener Woche feierlich übergeben. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro.
Es sei der Mensch, der im Zentrum all der aktuellen Krisen steht
Er freue sich sehr, »dass dieses Jahr über alle Grenzen hinweg zwei Preisträger ausgezeichnet werden«, sagte der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde, Oskar Deutsch, bei der Verleihung. Diese Preisverleihung, so der Hausherr und Gastgeber, diene auch dazu, dem »engagierten und verdienten Gründer« dieser Auszeichnung sowie dessen Lebenswerk zu gedenken. Er sei stolz, so Deutsch, »einen Menschen wie Friedmann gekannt zu haben«. Denn für ihn hätten immer der Mensch und dessen Wohlergehen im Vordergrund gestanden.
Und es sei auch der Mensch, der im Zentrum all der aktuellen Krisen steht. »Jüdisches Leben«, so Oskar Deutsch, »kann heute nur unter vehementen Sicherheitsvorkehrungen stattfinden – wir müssen wachsamer sein denn je.« Und das gelte gleichermaßen für physische Sicherheit wie auch für die psychische Gesundheit und soziale Absicherung.
Dass die Auswahl auf die ZWST sowie das Projekt SMILE gefallen ist, ist also nicht zuletzt auch den Krisen der Gegenwart geschuldet: Corona mitsamt rasant ansteigendem Antisemitismus und der Relativierung der Schoa, der Angriff Russlands auf die Ukraine, der 7. Oktober 2023 und die Folgen.
Bei vielen Juden sei wieder das Gefühl entstanden, »dass man sich verstecken muss«
Ganz nah am Ort des Geschehens ist dabei das israelische Projekt »SMILE/Remember DAN«. Die Initiative wurde für die Errichtung einer Reha-Sporthalle für vom Krieg betroffene junge Menschen in Israel ausgezeichnet. Hinter dem Projekt stehen die Eltern des am 7. Oktober 2023 getöteten Soldaten Dan Wajdenbaum. Der Ort, der hier geschaffen wurde, so David Wajdenbaum in Wien, sei wohl genau so einer, an dem sein Sohn, ein Physiotherapeut, gearbeitet hätte, wäre er nicht getötet worden.
»Wir hatten ständig Krisen«, sagt Esther Petri-Adiel, Projektleiterin von »Adopt a Safta/Saba«. Und all diese Krisen, so sagt sie, hätten zu einer ständigen Retraumatisierung geführt. Denn bei vielen Juden sei wieder das Gefühl entstanden, »dass man sich verstecken muss«. »Adopt a Safta/Saba« sei »eine Art Lichtblick in dieser Zeit«. Ihr Dank gilt dabei vor allem den Schoa-Überlebenden, die an dem Projekt teilnehmen, ihr Vertrauen schenken und sich auf das Projekt einlassen, sowie den Freiwilligen, ohne die es das Projekt nicht geben würde.
»Adopt a Safta/Saba« hat zum Ziel, alle Generationen zusammenzubringen: Senioren, Erwachsene, Kinder. Das Projekt soll es gleichermaßen jungen Menschen ohne Großeltern ermöglichen, eine Oma oder einen Opa zu haben; es solle vor allem aber auch alten Menschen und Schoa-Überlebenden ermöglichen, ein bisschen Kind sein zu können. Denn, wie es Esther Petri-Adiel ausdrückt: »Diese Menschen haben nie eine Kindheit gehabt, die wurde ihnen geraubt.« Das sei für alle eine Bereicherung – für die Kinder wie auch für die alten Menschen. Die Anerkennung des Projekts und die Reaktionen darauf würden ihr zeigen, wie wichtig es ist. Auch dass es heute leichter sei, junge Menschen für gemeinnützige Tätigkeiten zu gewinnen, zeige ihr, dass man hier einen Nerv getroffen habe. Denn gerade in dieser unruhigen Zeit sei es wichtig, geschützte Räume zu schaffen. Das Projekt hat in Frankfurt schon mehr als 20 junge Familien und 100 Holocaustüberlebende sowie ihre Nachkommen erreicht.
Zwei Initiativen wurden in diesem Jahr ausgezeichnet
Der Leiter des Sozialreferats des ZWST, Ilya Daboosh, betont, dass es gerade auch der Anstieg des Antisemitismus sei, der dazu führe, dass Menschen ihre Identität, das Judentum, wieder mehr erleben, mehr darüber erfahren wollten. Denn hier gehe es auch darum, Erinnerung zu leben. Was passiere, wenn vergessen werde, sehe man überall in Europa – Geschichtsverdrehung und Relativierung. Daher sei es eben auch so wichtig, einander innerhalb der Community Halt zu geben. »Wir merken, dass dieser Zusammenschluss sehr, sehr stark geworden ist und dass es auch Hoffnung gibt«, sagt Daboosh. Frei nach dem Motto: »Wir haben viele Krisen überwunden – und diese werden wir auch noch schaffen.« In der Auszeichnung sehe er einen »Antrieb«, das Projekt auszuweiten und fortzuführen.
Zwei Initiativen seien in diesem Jahr ausgezeichnet worden, die »unmittelbar an den Herausforderungen unserer Zeit ansetzen«, so ESRA-Obfrau Dwora Stein. Es gehe darum, »einander zu unterstützen«. Die ausgezeichneten Institutionen zeigten, »dass die Fürsorge für Opfer antisemitischer Gewalt und die damit verbundene Versorgung traumatisierter Menschen immer noch traurige Aktualität besitzt«.