Es ist das erste Mal seit seinem Amtsantritt in Berlin, dass Ron Prosor seinen Blick über die Dächer von München schweifen lässt. Dort sind die Türme der Frauenkirche, der Alte Peter, das rote Dach des Stadtmuseums. Bei guter Wetterlage sieht man sogar das Alpenpanorama. Obwohl an diesem Dienstagmorgen graue Regenwolken am Himmel hängen, ist es eine beeindruckende Aussicht vom fünften Stock des Jüdischen Gemeindezentrums am Jakobsplatz. Mit ihren 9300 Mitgliedern ist die Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern mittlerweile die größte jüdische Gemeinde im deutschsprachigen Raum.
»Wir schreiben heute Geschichte«, sagt Charlotte Knobloch. Seit 1985 ist sie Präsidentin der IKG und hat demzufolge in den vergangenen Jahrzehnten schon einige Vertreter Israels erlebt. Nun hat einer von ihnen den langen Weg auf sich genommen. Wenige Monate, nachdem er seinen Posten als neuer israelischer Botschafter übernommen hat, besucht Ron Prosor die bayerische Hauptstadt. Als sich Charlotte Knobloch für sein Kommen bedankt, blitzt die Sonne durch die Wolken.
zusammenarbeit Prosor hat an einem reich gedeckten Tisch Platz genommen. Serviert werden unter anderem bayerische Brezen. Zur Runde gehört auch die Leiterin des israelischen Generalkonsulats für Süddeutschland, Carmela Shamir, »eine Freundin«, wie Charlotte Knobloch sie nach eineinhalb Jahren Zusammenarbeit nennt. Die IKG-Präsidentin sitzt Prosor gegenüber, das idyllische München im Rücken und an ihrer Seite die beiden Vizepräsidenten der Kultusgemeinde, Yehoshua Chmiel und Peter Guttmann, sowie Geschäftsführer Steven Guttmann.
Es sei kein Zufall, dass er seinen Besuch in München mit einem Frühstück in der IKG beginne, erzählt Prosor. Schon immer habe er Charlotte Knobloch für ihre Führungsstärke und ihr Durchsetzungsvermögen bewundert. Er schätze ihre Art, Israel und das jüdische Volk zu verteidigen, auch, dass sie keine Angst davor habe, unbequeme Dinge auf Bundesebene anzusprechen. Insofern habe er viel von ihr gelernt. Prosor und die IKG-Präsidentin kennen sich schon seit vielen Jahren. Als er ihr das erste Mal begegnet sei, »da war ich noch ein junger Diplomat«, so Prosor.
Er ist der Nachfolger von Jeremy Issacharoff, der sich nach fast fünfjähriger Amtszeit im April vergangenen Jahres in den Ruhestand verabschiedete. Zwischen 1988 und 1992 hat Ron Prosor als Sprecher an der israelischen Botschaft in Bonn gearbeitet und dort die Wendezeit miterlebt. Es folgten Stationen als Botschafter in London und ständiger Vertreter Israels bei den Vereinten Nationen in New York.
berater Bevor er vergangenen Sommer seine Stelle in Berlin antrat, war er als Berater der israelischen Botschaft in Washington tätig und gründete das Abba-Eban-Institut für internationale Diplomatie an der Reichman-Universität Herzliya, welches er von 2016 bis 2022 selbst leitete. »Ohne Kritik habe ich keinen Einfluss«, sagt Prosor bei dem Gespräch vergangene Woche.
Mit deutlichen Worten fordert er, es sei an der Zeit, gewisse Entscheidungen zu treffen. Schließlich wolle er seine Position dazu nutzen, Dinge zu bewegen – auch wenn dies nicht immer bei allen auf Zustimmung stoße. Der wachsende Judenhass in Deutschland bereite ihm Sorgen, so der Botschafter. Die documenta fifteen sei ein Beispiel dafür, dass eine rote Grenze überschritten wurde. Auch die Aufarbeitung der Antisemitismusvorwürfe, die die internationale Kunstschau erschütterten, kritisiert er scharf.
Er wolle seine Position dazu nutzen, Dinge zu bewegen, betont
Ron Prosor.
Prosors Wurzeln liegen in Deutschland. Sein Vater, ebenfalls Diplomat, der unter anderem als Gesandter Israels in Mittelamerika diente, wurde in Berlin geboren. Sein Großvater Berthold Proskauer war ein preußischer Offizier. 1933 floh die Familie ins Mandatsgebiet Palästina. Geboren wurde Prosor 1958 in Kfar Saba. Der Politikwissenschaftler zählt zu den Spitzendiplomaten Israels. »Die deutsch-israelischen Beziehungen liegen mir sehr, sehr nah am Herzen«, schrieb Prosor bei seinem Amtsantritt im August vergangenen Jahres auf Twitter.
Wie wichtig der Israelitischen Kultusgemeinde die Verbindung zu Israel ist, macht die IKG-Präsidentin nochmals deutlich. »Wir alle haben dort Freunde oder Familie«, sagt sie. Jeder hätte einen persönlichen Zugang, als Holocaust-Überlebende sei das Verhältnis zu Israel für sie persönlich ein ganz besonderes. »Ich weiß, wie viele Menschen hätten gerettet werden können.« Sie sei noch sehr jung gewesen, doch könne sie sich an die Verzweiflung derer erinnern, die nicht wussten, wohin sie gehen konnten. »Israel ist für Juden in der ganzen Welt eine Lebensversicherung«, so Knobloch.
austausch Einig sind sich Prosor und Knobloch darin, dass es gemeinsames Ziel der Bemühungen – vor allen im Hinblick auf die junge Generation – sein müsse, Israel (besser) kennenzulernen. Das geplante Deutsch-Israelische Jugendwerk wollen beide unterstützen. So würden internationale Freundschaften geknüpft und vertieft, Vorurteile könnten abgebaut werden.
»Leider erleben wir immer wieder, dass innerhalb der deutschen Bevölkerung weiterhin erhebliches Unwissen über Israel herrscht – und ein Großteil den jüdischen Staat noch immer durch ein Prisma von Vorurteilen und Halbwahrheiten sieht«, sagt die IKG-Präsidentin. »Wir wissen, dass Israel ein wunderbares, offenes, innovatives Land ist – voller großartiger Menschen.«
Am Ende des Gesprächs hat es aufgehört zu regnen. Eilig versammelt man sich zum gemeinsamen Foto auf der Dachterrasse des Gemeindezentrums. Prosor kann nicht lange bleiben. Er muss zu seinem nächsten Termin im Bayerischen Landtag aufbrechen.