Aus einer Zeitungsmeldung erfuhren Verantwortliche des Landes Thüringen und der Stadt Erfurt, dass in Rheinland-Pfalz Stimmung gegen einen gemeinsamen Antrag mit Thüringen auf den Titel »UNESCO-Weltkulturerbe« gemacht wird. Demnach hatte Joachim Glatz, Chef der Landesdenkmalpflege und der Generaldirektion Kulturelles Erbe in Rheinland-Pfalz, den Vorschlag des Erfurter Oberbürgermeisters Andreas Bausewein abgelehnt, über eine gemeinsame Bewerbung zu reden.
Dabei kommt das Bemühen der Thüringer um die gemeinsame Bewerbung der Länder nicht von ungefähr: Genau vor einem Jahr hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) sowohl die Schum-Städte Speyer, Worms und Mainz als mittelalterliche Zentren jüdischer Gelehrsamkeit als auch Erfurt auf die sogenannte Tentativliste (Vorschlagsliste) Deutschlands gesetzt.
Für die Rheinland-Pfälzer könnte der Welterbetraum 2020 wahr werden, für die Thüringer ein Jahr später. »Eine Expertenkommission hatte jedoch nahegelegt, einen gemeinsamen Antrag zu prüfen«, sagt Erfurts Kulturdirektor Tobias Knoblich. Damit würde die Chance steigen. »Eine solche Prüfung und das Miteinander machen inhaltlich Sinn«, versichert auch Sarah Laubenstein, Erfurts UNESCO-Beauftragte.
kriterien Um eine Chance auf den Welterbetitel zu bekommen, sind drei Kriterien zwingend: Einmaligkeit, Authentizität und Integrität. Genau deshalb mache eine gemeinsame Bewerbung Sinn, findet Maria Stürzebecher, ebenfalls UNESCO-Beauftragte der Stadt. Abgesehen von der alten Synagoge, die als eines der besterhaltenen Häuser aus dem Mittelalter gilt, gibt es auch die Mikwe und das »Steinerne Haus«. »In Erfurt werden jüdischer Ritus, jüdisches Alltagsleben und christlich-jüdische Koexistenz im Mittelalter durch so viele authentische Zeugnisse belegt wie sonst nirgends auf der Welt«, sagt Laubenstein.
Dass Wissenschaftler über die Einmaligkeit und Besonderheit von Spuren jüdischer Vergangenheit streiten, ist legitim. »Selbstverständlich war Erfurt nie eine Schum-Stadt, aber wir sind repräsentativ für das aschkenasische Judentum im Mittelalter und auch für das jüdisch-christliche Miteinander«, versichert Laubenstein. Knoblich sagt, der Einwand aus Rheinland-Pfalz, eine gemeinsame Bewerbung nicht zu prüfen, widerspreche jeglicher Logik.
Tatsächlich waren Mainz und Erfurt im Mittelalter historisch eng verknüpft. Der Mainzer Erzbischof war der Stadtherr von Erfurt. »Mit Sicherheit gab es vielfältige Verbindungen«, sagt Laubenstein. Sie wurden teils anhand von Grabsteinen nachgewiesen. Ein Grabstein etwa ist der Familie Kalonymos zugedacht: Diese jüdische Familie, die aus Norditalien nach Rheinland-Pfalz kam, hat auch in Erfurt Spuren hinterlassen.
bewerbung Warum also positioniert sich Rheinland-Pfalz so vehement gegen eine gemeinsame Bewerbung? »Das tun wir doch gar nicht. Die Meldung in der Zeitung war eine Information, die gar keine werden sollte«, rudert Joachim Glatz zurück. So eindeutig wollte er nicht verstanden werden.
»Wir brauchen aber den Nachweis, dass Erfurt tatsächlich für das jüdische Leben im Mittelalter eine besondere Rolle gespielt hat«, erklärt er. »Die Kooperation mit Erfurt war immer fruchtbar«, versichert er gegenüber der Jüdischen Allgemeinen. Er werde demnächst nach Erfurt reisen, denn es gebe wohl weitere Quellen, die die gemeinsame Vergangenheit belegen. Glatz scheut sich davor, allzu deutlich von der selbstständigen Bewerbung der Schum-Städte zu sprechen.
»So eine Äußerung wäre kontraproduktiv«, sagt Erfurts Kulturdirektor Tobias Knoblich. Der Druck auf Rheinland-Pfalz und Thüringen auf eine gemeinsame Bewerbung werde wachsen. Denn aus internationaler Sicht ist diese Form der Kleinstaaterei nicht zu verstehen. »Wir halten am gemeinsamen Vorgehen fest und sind dabei, für Anfang nächsten Jahres ein Symposium in Erfurt zu organisieren«, erklärt Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff. »Unser Ziel ist die Aufnahme in die UNESCO-Welterbeliste. Das wollen wir gemeinsam mit Rheinland-Pfalz vorantreiben.«