Immer wieder sonntags sitzen Ludmila, Boris, Eduard, Anton und noch weitere vor dem Computer. Griffbereit liegen Stifte und ein paar Blätter Papier. Gleich geht es los – in wenigen Minuten begrüßen sich alle per Skype und erfahren dann das Thema für den Nachmittag: Chanukka. Kerzen, Lichter, Ölfässer – alles kann gemalt werden, so Costa Bernstein, künstlerischer Leiter des Ateliers Eastend in Frankfurt am Main. Das Atelier richtet sich an Menschen mit körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung jeglichen Alters.
An diesem dunklen Nachmittag warten Familien darauf, dass es endlich 14.30 Uhr wird. Denn seit Corona treffen sie sich digital. »Es ist wichtig, dass wir uns regelmäßig sehen und austauschen können und dabei auch noch kleine Kunstwerke entstehen«, sagt Boris, dessen Sohn Eduard behindert ist, bei seinen Eltern wohnt und eine Werkstatt besucht, in der er während der Woche arbeitet. Nun haben Vater und Sohn, der Mitte 30 ist, ein gemeinsames Projekt: Ein Chanukka-Bild soll entstehen. Jeden Sonntagnachmittag sitzen die 15 Teilnehmer vor dem Computer-Bildschirm und malen ein Bild zu einem vorgegebenen Thema.
»So unterschiedlich, wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Kunstwerke, die hier entstehen.«
Costa Bernstein, künstlerischer Leiter des Ateliers Eastend in Frankfurt am Main
Der Vorteil am Online-Treffen ist, dass sich auch Familien aus Köln, Marburg oder Wiesbaden dazuschalten können. Costa Bernstein kennt die Gruppe seit der ersten Minute. Denn als die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST) Familien mit behinderten Angehörigen zu einem Treffen einlud, wurde er gefragt, ob er den Kindern ein schönes Angebot machen könne. Er sagte zu – und später kamen die Eltern auch in diese Gruppe und trafen sich zweimal im Monat im Kunstatelier Eastend.
kooperation 2011 wurde das Atelier in Frankfurt eingerichtet, das eine Kooperation der ZWST, der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main und des Internationalen Bundes ist. »So unterschiedlich, wie die Menschen sind, so unterschiedlich sind auch die Kunstwerke, die hier entstehen«, so Costa Bernstein. Geprägt sei die besondere Atmosphäre von gegenseitigem Respekt, Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Jeder werde so angenommen, wie er ist. »Das faszinierte mich von Anfang an und bis heute«, so der Künstler, der Grafikdesign studiert und sich auf Collagen spezialisiert hat.
Anton spitzt bereits die Buntstifte an, dann hört man ein Papierrascheln, und er beginnt mit dem Malen. Was Anton genau zeichnet, will er nicht verraten. Das gehört auch zur Tradition der Gruppe, denn alle Bilder werden an Costa Bernstein gesendet, der daraus eine Collage erstellt. So entsteht ein Gemeinschaftsbild. »Bis zu unserem nächsten Treffen muss ich es immer fertig haben«, sagt Bernstein lachend.
Ludmila sitzt bereits vor dem weißen Blatt und malt konzentriert, sie ist heute eher ruhig und sagt wenig. Sie und Anton leben in dem Jüdischen Altenheim in Frankfurt. Konstantin hingegen verfügt nicht über die notwendige Technik und fragt vorher nach dem Thema. Dann malt er in seinen vier Wänden ebenfalls ein Bild, das er später per E-Mail schicken wird.
werkstatt Eine Teilnehmerin singt beim Malen leise vor sich hin, während die anderen plötzlich anfangen, während der Arbeit munter zu diskutieren. Es geht um das Verhalten einiger anderer in der Werkstatt, die sich nicht immer korrekt verhalten. »Das muss die Werkstatt selbst lösen«, sagt Boris nach längerer Diskussion schließlich. Dann geht es um Chanukka. Einige werden zum Lichterzünden in die Synagoge gehen, andere bleiben mit ihren Familien zu Hause und werden dort die Kerzen anzünden.
Vor der Pandemie hatten sie sich zweimal im Monat im Kunstatelier getroffen. Dann erst einmal gar nicht mehr. Doch alle spürten, wie sehr ihnen der Kontakt fehlte. Nun wollen sie sich Ende Dezember zum ersten Mal wieder in Präsenz treffen – und sind schon voller Vorfreude bei dem Gedanken. Costa Bernstein plant bereits den Ablauf: »Zuerst werden wir töpfern, dann gibt es eine Pause, anschließend werden wir gemeinsam kochen und nach dem Essen singen und malen.« Er freut sich, alle wieder richtig zu treffen und mit ihnen die siebte Kerze anzuzünden.