Pandemie

»Gemeinsam da durch«

Enkelin und Oma: Ilana und Ivette Lendvai erzählen vom Alltag in Corona-Zeiten. Foto: Katrin Richter

Am Samstagmorgen hat das Robert-Koch-Institut rund 23.000 Corona-Neuinfektionen vom Vortag gemeldet. Das Land befindet sich mitten in der zweiten Welle. Grund genug für neue – noch strengere – Kontaktbeschränkungen. Wie geht es jungen und älteren Menschen damit, wenn sie sich nicht so häufig wie sonst besuchen können, wenn keine Freizeitaktivitäten mehr stattfinden und die Klubs geschlossen sind? Wir haben mit Ilana Lendvai und ihrer Oma Ivette Lendvai per »Zoom« gesprochen.

Frau Lendvai, Sie sitzen gerade neben Ihrer Enkelin Ilana in Ihrem Zimmer im Frankfurter Altenheim. Wie geht es Ihnen?
Ivette: Leider sind die Möglichkeiten derzeit sehr begrenzt, Menschen zu treffen. Ich lebe selbst in der Wohnanlage des Altenheims und arbeite ehrenamtlich im Jüdischen Altersheim. Die älteren Menschen sind sehr deprimiert, dass sie keine Besuche empfangen können. Ich habe vier Enkel, und mit Ilana habe ich öfter Kontakt. Es bedrückt mich sehr, dass ich meine Bekannten und Freunde nicht treffen kann. Es ist alles sehr eingeschränkt und traurig. Wir hoffen alle, dass niemand von meiner Familie, meinen Enkeln und meiner Umgebung eine böse Überraschung erfahren muss. Es ist eine sehr traurige Zeit. So sehr, dass ich es gar nicht ausdrücken kann, wie sich diese plötzliche Änderung anfühlt. Ich hoffe, dass sich alles bald wieder ändert und dass das normale Leben – das Theater, die Kinos – zurückkehrt. Nicht nur ein Buch lesen, Fernsehen schauen und telefonieren. Ich hoffe, dass alles das, was zum Leben gehört, wiederkommt. Dass man nicht mit Angst zum Arzt geht und nicht mit Angst andere Menschen trifft.

Wie oft sehen Sie sich?
Ivette: Jetzt wieder öfter, aber es gab auch eine Zeit, in der ich hier in der zweiten Etage war und wir uns vom Balkon miteinander unterhalten haben. Es hat sich schon etwas gelockert, aber trotzdem fragen meine Kinder: Sollen wir kommen? Ich habe keine Angst um mich, ich habe Angst um Ilana, die im Krankenhaus arbeitet, um meine Schwiegertochter, die in einer Schule arbeitet – meine andere Schwiegertochter ist am Gericht tätig –, um meine Söhne und alle meine Freunde.

Ilana, wie geht es Ihnen mit dem, was Ihre Großmutter gerade gesagt hat?
Ilana: Ich höre ihre Sorgen. Ich kenne meine Oma als sehr lebenslustige, positive und spannende Frau. Ich leide mit, dass die Umgebung sie hier auch sehr einschränkt. Rausgehen, Einkaufen gehen, Freunde und Familie treffen, das ist für diese Generation wichtig. Meine Großmutter ist so aktiv, organisiert Events und Veranstaltungen für die Gemeinde im Altersheim, hat ihren Basar, und das ist alles abgesagt worden. Das ist schon sehr belastend.

Wie erleben Sie die neuerlichen Kontaktbeschränkungen?
Ilana: Für uns Jüngere ist es doch deutlich leichter. Ich habe jeden Tag auf Arbeit meine Kontakte zu anderen Menschen. Für mich ist die Situation auch von Anfang an etwas anders gewesen, weil ich im Krankenhaus arbeite. Dennoch merke ich natürlich auch, wie sich das soziale Leben verändert hat.

Sind Sie durch Ihre Arbeit etwas entspannter im Umgang mit der Pandemie?
Ilana: Ja, das muss ich sein, denn Panik hilft natürlich nicht weiter. Zu Beginn war alles neu und die Veränderungen im Krankenhaus ungewohnt. Wir haben uns gefragt: Wie gehen wir mit der Situation um? Im Krankenhaus bedeutete das mehr Dienste, mehr Anspannung, denn keiner wusste, was passiert, wie man sich richtig verhält, welche Regelungen Sinn ergeben und welche vielleicht etwas zu viel sind. Ich habe die ganzen Vorschriften außerhalb im März und April gar nicht so richtig wahrgenommen, denn für mich ist es normal, jeden Tag zur Arbeit zu gehen. Für mich gibt es kein Homeoffice. Im Patientenkontakt bedeutet die Maske, dass man umso mehr versuchen muss, die nonverbale Kommunikation oder auch ein Lächeln zu vermitteln.

Der Lockdown im Frühjahr war für alle neu. Wie haben Sie beide die Nachricht über die seit Anfang November geltenden Kontaktbeschränkungen aufgenommen?
Ivette: Die Situation ist stressig. Jede Stunde ändert sich etwas. Für mich war die Anfangssituation belastend. Der Gedanke, was aus uns wird, hat nachgelassen. Die Menschen sagen sich mittlerweile: Was geht, geht. Aber sie werden nachlässiger, vergessen in Läden die Masken, halten keinen Abstand.

Können Sie sich in den jeweils anderen hineinversetzen?
Ivette:
Wenn meine Enkelin kommt, und ich kann sie nicht umarmen und küssen … diese Situation betrifft doch fast jeden von uns. Das fällt mir so schwer. Angst habe ich nicht um mich. Ich habe mein Leben im Grunde schon gelebt. Ich habe die Schoa überlebt und hatte im Konzentrationslager Angst, aber jetzt nicht.

Ilana: Ich versuche, mich in meine Oma hineinzuversetzen, und stelle mir die Situation für sie unheimlich schwer vor. Bei uns war die Angst zu Beginn der Pandemie sehr groß. Ich habe meine eigenen Eltern nicht besucht, meine Schwester nicht, die ganz in der Nähe wohnt. Wir hatten nur Kontakt übers Telefon. Aber man wird sehr schnell sehr einsam. Das Schlimmste, was man älteren Menschen antun kann, ist Kontaktlosigkeit. Das Telefon ist kein guter Ersatz. Ich habe mich auch immer gefragt: Was ist, wenn sie erkrankt? Dann haben wir uns monatelang nicht gesehen, und irgendwann ist es vielleicht gar nicht mehr möglich. Diese Vorstellung ist schon schrecklich.

Ivette: Die Schwester einer Freundin von mir ist gestorben, und wir durften nicht zur Beerdigung gehen. Nur fünf Personen durften hingehen. Das werde ich nie vergessen. Ihre Kinder sind in den USA. Sie hat das nicht überwunden und auch nicht begriffen. Für mich war das ein Schock, den ich gar nicht richtig in Worte fassen kann. Die Menschen im Altersheim verstehen nicht, warum sie nicht in die Synagoge dürfen, warum die Kinder nicht zu Besuch kommen können. Diese Einsamkeit kann ich nicht ausdrücken. Mich persönlich betrifft es auch, dass ich nicht einfach ein Buch aus der Bibliothek nehmen kann, bevor es desinfiziert ist. Es gab Konzerte, aber die Menschen waren dabei leider durch die aktuelle Situation sehr verängstigt. Der Garten des Altenheims ist abgeschlossen, und die Menschen unterhalten sich durch den Zaun. Bei manchen Leuten ruft das Erinnerungen aus der Zeit im Konzentrationslager hervor. Wissen Sie, Telefongespräche helfen vielen, um sich einfach über Dinge zu unterhalten. Aber so etwas gab es sonst nicht, dass das Essen aufs Zimmer gebracht werden muss, die Schwestern überlastet sind oder die Ärztin keine Zeit hat.

Ilana: Einerseits versucht man, die Generation zu schützen, und andererseits schadet man ihr mit den Kontaktbeschränkungen.

Worüber sprechen Sie beide, wenn Sie sich sehen?
Ilana: Heute zum Beispiel haben wir über die neue Impfung gesprochen.

Wie geben Sie sich gegenseitig Kraft?
Ivette: Mit den Menschen, mit denen ich Kontakt im Altenheim habe, denen versuche ich zum Beispiel kleine Schokoladen durch das Personal zu schicken, um etwas Freude zu bringen. Wir sind hier sehr isoliert. Wenn ich in das Altersheim gehe, muss ich ein Formular ausfüllen, es wird Fieber gemessen.

Eine Krise, heißt es, bringt den wahren Menschen zum Vorschein. Wie erleben Sie beide das in Ihrem Umfeld?
Ilana: Bei meinen Freunden ist der Zusammenhalt groß. Eine Freundin musste ihren Geburtstag absagen, und wir versuchen, es so hinzubekommen, dass wir ihn online feiern können. Alle sind hilfsbereiter geworden, kreativer, verständnisvoller und offener für neue Möglichkeiten. Es gibt auch Freunde, die ganz offen sagen, dass sie keinen direkten Kontakt wünschen, weil ich Ärztin im Krankenhaus bin. Oder wir treffen uns mit Maske, umarmen uns aber nicht. Auf der anderen Seite muss es vielleicht auch nicht sein. Das feste Händeschütteln im Alltag vermisse ich zum Beispiel nicht.

Es gibt ja auch die Begrüßung mit dem Ellenbogen …
Ivette: Oder neuerdings mit den Füßen.

In wenigen Wochen ist Chanukka. Wie, denken Sie, werden Sie die Tage verbringen?
Ilana: Ich habe Hoffnung, dass es noch irgendwie klappt, vielleicht im kleinen Kreis zu feiern.

Ivette: Ich habe im November Geburtstag und habe auch gedacht, dass ich meinen Geburtstag in einem größeren Kreis feiern kann. Wir sind vor fast zehn Jahren wegen der Familie von Hamburg nach Frankfurt gekommen. Die Hohen Feiertage haben wir jeder für sich gefeiert.

Was möchten Sie anderen für die kommenden Wochen mit auf den Weg geben?
Ilana: Stark zu bleiben, gemeinsam durchhalten und mehr Kontakt auch übers Telefon halten. Positiv bleiben und mehr Wertschätzung füreinander. Jeder hat seine eigenen Probleme und Schwierigkeiten. Aber wichtig ist, dass wir alle nach vorne schauen und nicht zurück.

Ivette: Ich hoffe, dass wir das durchstehen. Ich wünsche allen meinen Bekannten und der Familie, dass sie stark bleiben. Und allen, die wegen Corona leiden und ihre Existenz aufgeben mussten, dass sie wieder zur Normalität zurückkehren können.

Mit Ilana und Ivette Lendvai sprach Katrin Richter.

Berlin

Wladimir Kaminer verkauft Wohnung über Facebook

Mit seiner Partyreihe »Russendisko« und vielen Büchern wurde Wladimir Kaminer bekannt. Für den Verkauf einer früheren Wohnung braucht er keinen Makler

 20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

Thüringen

Antisemitismus-Beauftragter soll »zeitnah« ernannt werden

Seit Dezember ist der Posten unbesetzt. Dem Gemeindevorsitzenden Schramm ist es wichtig, dass der Nachfolger Zeit mitbringt

 19.02.2025

Weimar

Erlebtes Wissen

Eine Fortbildung für Leiter jüdischer Jugendzentren befasste sich mit der Frage des zeitgemäßen Erinnerns. Unsere Autorin war vor Ort dabei

von Alicia Rust  18.02.2025

Bundestagswahl

Scharfe Worte

Über junge politische Perspektiven diskutierten Vertreter der Jugendorganisation der demokratischen Parteien in der Reihe »Tachles Pur«

von Pascal Beck  18.02.2025

Justiz

Vorbild und Zionist

Eine neue Gedenktafel erinnert an den Richter Joseph Schäler, der bis 1943 stellvertretender IKG-Vorsitzender war

von Luis Gruhler  18.02.2025

Emanzipation

»Die neu erlangte Freiheit währte nur kurz«

Im Münchner Wirtschaftsreferat ist eine Ausstellung über »Jüdische Juristinnen« zu sehen

von Luis Gruhler  18.02.2025

Portät der Woche

Magische Momente

German Nemirovski lehrt Informatik und erforscht den Einsatz Künstlicher Intelligenz

von Gerhard Haase-Hindenberg  16.02.2025

Berlinale

»Wie zehn Städte in einer«

Die Komponistin Dascha Dauenhauer über ihre Heimatstadt, die Arbeit an »Golda« und das Filmfestival

von Katrin Richter  15.02.2025