In den Gemeinden ist es still geworden. In den Büros sind nur Notbesetzungen anzutreffen. Aber die Geschäfte laufen natürlich weiter, und ab und zu müsse sie eben doch hinfahren, sagt Elisabeth Schlesinger, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Oldenburg. »Einige Dinge lassen sich ja doch nur vor Ort erledigen.« Das Gemeindebüro ist montags bis donnerstags besetzt. Die beiden Bürokräfte teilen sich die Arbeit, eine ist vormittags da, die andere am Nachmittag.
»Der Lockdown hat auch etwas Gutes«, erzählt die 61-Jährige, »man kommt zu Dingen, für die man lange keine Zeit hatte. Wir sind gerade dabei, eine Rechtsformänderung vom eingetragenen Verein hin zur Körperschaft des öffentlichen Rechts für die Gemeinde voranzutreiben.«
Körperschaftsrechte Diesen Status hatte die Gemeinde schon einmal, bis die Nazis ihn 1933 aberkannt haben. »Die Wirtschaftsprüfung ist schon gut gelaufen, wir haben eine neue Satzung entworfen, die auf die Körperschaftsrechte abzielt. Jetzt hakt es am Kultusministerium. Die haben natürlich mit den Schulen andere Sorgen«, sagt Schlesinger.
Überhaupt ist sie positiv überrascht, wie alles läuft. »Die Gemeinde funktioniert, sie wird nicht auseinanderbrechen«, erzählt sie, das habe sich gerade am vergangenen Pessachfest gezeigt. »Es gab viel Hilfsbereitschaft, alle haben ihre Pakete rechtzeitig bekommen.«
Die Sozialarbeiterin managt sehr viel. Sie habe eine Liste mit Telefonnummern zu Hause und kümmere sich vor allem um die russischsprachigen Gemeindemitglieder. »Auch meine Handynummer ist auf dem Anrufbeantworter im Büro hinterlassen. Außerdem machen wir sehr viel über Zoom und Skype«, erzählt Schlesinger.
Der Hebräischunterricht am Sonntag läuft weiter, ebenso die Schiurim bei Rabbinerin Alina Treiger am Montagabend. Kleine Vorstandssitzungen hält man per Skype ab. »Es ist auch eine Chance, sich mit moderner Technik auseinanderzusetzen, vor der man sich vorher gedrückt hat«, sagt Oldenburgs Gemeindevorsitzende mit einem Schmunzeln.
krankenbesuche Bikur Cholim kümmert sich in dieser Zeit, in der soziale Distanz strikt eingehalten werden soll, vor allem um die älteren Gemeindemitglieder und die Kranken. Ihre Mitglieder rufen regelmäßig an, organisieren Einkäufe, sind einfach als Ansprechpartner erreichbar.
Auch Schlesinger selbst telefoniert regelmäßig mit »Sorgenkindern«. Am schlimmsten seien natürlich demente Menschen betroffen, die die Situation überhaupt nicht verstehen können.
Schawuot Und nachdem man Pessach gut gemeistert hat, hofft sie auf eine leichte Lockerung des Gottesdienstverbots zu Schawuot. Aber die Ärztin, die ihre eigene Praxis aufgegeben hat, weiß, dass der Wunsch groß ist, aber die Realität dagegen spricht. Ihr Mann ist Hygienearzt. Sie weiß, wovon sie spricht.
Auch Judith Neuwald-Tasbach aus Gelsenkirchen fährt ab und zu in die Gemeinde, um einige Unterlagen durchzusehen und zu unterschreiben. »Vieles mache ich aber von zu Hause aus«, sagt sie. Der Kontakt mit den anderen Gemeindemitarbeitern fehle ihr jedoch sehr, und es erschwere die Arbeit.
Hilfe Die Corona-Krise habe aber viel Positives zu Tage gebracht. »Menschen bieten ihre Hilfe an, die sich vorher nicht so getraut haben. Jetzt sind sie da, das freut mich sehr«, sagt die Gemeindevorsitzende.
Alle Rädchen greifen ineinander, Sozialarbeiterinnen, Rabbiner Chaim Kornblum und viele, viele freiwillige Helfer halten die Gemeinde am Laufen. Das sei wirklich schön zu beobachten und gebe Kraft.
Sie liebe zwar den Trubel in der Gemeinde bei vollem – normalem − Betrieb, schätze aber jetzt auch die Möglichkeit, sich konzentriert nur einer Sache zu widmen und nicht durch Zurufe auf dem Flur, Telefonklingeln und Anfragen gestört zu werden.
Die E-Mails aus der Gemeinde werden ihr jetzt weitergeleitet. »Ich versuche, sie dann immer sofort auch zu beantworten.« Außerdem nimmt sie an verschiedenen Zoom-Konferenzen teil.
Einen Coronafall hatten sie ziemlich am Anfang der Kontaktsperre, die Gemeindesekretärin war erkrankt, und lange befürchtete die Gemeinde, dass sie möglicherweise andere Personen angesteckt haben könnte. »Gott sei Dank war das nicht der Fall. Sie war sehr krank, musste aber nicht ins Krankenhaus, und jetzt ist sie wieder gesund«, freut sich Neuwald-Tasbach.
Krankheitsfall In Braunschweig ist noch kein Krankheitsfall aufgetreten, erzählt Gemeindevorsitzende Renate Wagner-Redding. Auch sie fährt ab und zu mit dem Auto zur Gemeinde, um die E-Mails zu checken und den Anrufbeantworter abzuhören. »Wir haben keine Rufumleitung auf mich, und Internet habe ich auch nicht zu Hause.« Für solche Dinge ist die Gemeindemitarbeiterin Cordula Büngener zuständig.
Das Büro sei zwar vormittags geöffnet, doch die Gemeindemitglieder seien aufgefordert, lieber zu Hause zu bleiben und anzurufen, erzählt Wagner-Redding.
Sie ist froh, dass es bislang in der Gemeinde noch keinen Ernstfall gab. »Dennoch haben wir uns natürlich informiert, was zu tun ist, wenn aufgrund von Covid-19 ein Mensch stirbt.« Schwierig sei es dann auch mit religiöser Betreuung, denn Kantorin Sveta Kundish lebt in Berlin.
Pessach-Pakete Zu Pessach war auch in Braunschweig alles bestens für den Ausnahmezustand vorbereitet. Ihr Stellvertreter und eine Mitarbeiterin hatten Pakete zu den russischsprachigen Mitgliedern gebracht, und sie selbst habe das für die älteren vorwiegend deutschsprechenden Mitglieder übernommen. Zwei, drei sind selbst gekommen, natürlich unter Berücksichtigung der Abstandsregelung.
Es sei jedoch »schon ein sehr einsamer Seder« für sie gewesen, sagt Wagner-Redding. Rabbiner Jona Simon habe einen tollen Brief geschrieben, der – mit einem Gruß von ihr versehen – übersetzt und an die Gemeindemitglieder verschickt wurde. Doch auch Wagner-Redding gewinnt der ungewohnten Ruhe gute Seiten ab und macht jetzt morgendliche Spaziergänge.
Erreichbarkeit »Es ist wesentlich ruhiger bei uns«, sagt die Mitarbeiterin der Wiesbadener Gemeinde, die vergeblich versucht, die Anruferin mit dem Geschäftsführer zu verbinden. »Herr Landau telefoniert, vielleicht probieren Sie es in zehn Minuten noch einmal.« Doch auch das wird nichts helfen, das Gespräch dauert wohl etwas länger.
Gemeindevorsitzender Jacob Gutmark befindet sich im Homeoffice. Das Sekretariat ist immer mit zwei Personen besetzt, erzählt die Mitarbeiterin. »Das funktioniert gut, wir sind immer zu erreichen.«
Gemeindevorsitzender Max Privorozki ist froh, dass es in seiner Gemeinde noch keinen Covid-19-Patienten gibt.
Max Privorozki hat es zu Fuß »nur 20 Sekunden« in die Gemeinde. »Natürlich bin ich hier«, sagt der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Halle. Auch seine Mitarbeiter sind im Büro. Die Abstandsregeln lassen sich einfach einhalten: »Jeder ist in seinem eigenen Zimmer, man kann sich höchstens auf dem Gang zur Toilette begegnen. Es geht alles normal weiter«, sagt Privorozki und ist froh, dass in seiner Gemeinde noch kein Covid-19-Patient zu verzeichnen ist. »Alle sind gesund.«