Am 24. April 2022 hatte der Direktor des Russischen Hauses für Wissenschaft und Kultur die unangenehme Aufgabe, seinem Untermieter – dem unabhängigen Radiosender »Radio Russkij Berlin« – die fristlose Kündigung zu überbringen.
Bis zum 1. Mai habe man die angemieteten Räume besenrein zu verlassen, danach werde dem Radioteam der Zutritt verweigert. Der Geschäftsführer des Senders, Dmitri Feldman (56), war fassungslos.
Ende Erfolgte der Rauswurf womöglich, weil er und sein Team sechs Wochen zuvor beschlossen hatten, ihren Sender aus Solidarität mit der Ukraine in »Golos Berlina« (Stimme Berlins) umzubenennen? Schließlich war man ein unabhängiger Sender, was der bisherige Name »Radio Russkij Berlin« ja nicht zwingend nahelegte. Schon gar nicht bei dieser Adresse in der Friedrichstraße. Hier war man lediglich Untermieter geworden, nachdem man wegen einer saftigen Mieterhöhung am Leipziger Platz zum Umzug gezwungen war. Von vornherein war es nur als Übergangsquartier geplant. Dann aber kam Corona, und man war gezwungen zu bleiben.
Der russische Botschafter ordnete den Rauswurf des Senders selbst an.
Dem also machte der Direktor nun ein Ende, und auf Nachfrage gab er auch den Grund an: Der Botschafter der Russischen Föderation höchstselbst habe das angeordnet. Diesem hätte am Abend zuvor nicht gefallen, auf welche Weise sich ein unabhängiger russischer Journalist im Sender zu den Vorgängen in der Ukraine geäußert hatte. Der Diplomat aus Moskau musste zur Kenntnis nehmen, dass die russischsprachige Community in Berlin nicht durchweg auf die Propaganda seiner Regierung hereinfällt.
Offenbar aber wollte man deren medialem Sprachrohr nicht auch noch den Gästestatus im Russischen Haus für Wissenschaft und Kultur gestatten. Die Folge war eine große Solidaritätswelle der in Berlin angesiedelten Radiosender vom Berliner Rundfunk bis Radio Eins, die Dmitri Feldman und seinem Team entgegengebracht wurde. Zunächst kamen sie beim Sender RS2 unter und zogen nun in einen Kreuzberger Bürokomplex, von wo aus sie seit Anfang August sende
GEMEINDE Als Dmitri Feldman vor 32 Jahren als jüdischer Kontingentflüchtling gemeinsam mit seinem Bruder Boris aus Riga nach Berlin kommt, hat er eine ganz normale sowjetische Jugend hinter sich, inklusive zwei Jahre Armeedienst. Der Bruder war da bereits in Lettland ein bekannter Journalist und gewillt, dies auch in der deutschen Hauptstadt zu werden.
Damals lebten in Berlin und im übrigen Gebiet des gerade wiedervereinigten Deutschlands bereits einige Zehntausend russischsprachige Menschen. Potenzielle Leser also einer Zeitung in deren Muttersprache. Am 24. Juni 1996 erschien dann die erste Ausgabe der Wochenzeitung »Russkij Berlin«. Dmitri Feldman, der beim Projekt des Bruders von Anfang an federführend mitgearbeitet hat, engagierte sich zeitgleich in der Jüdischen Gemeinde. Schließlich wird er Ende der 1990er-Jahre auf der Liste »Jüdische Einigkeit« in den Vorstand gewählt, dem er einige Jahre angehört.
Unabhängigkeit Bald bemühten sich die Feldman-Brüder um eine Senderlizenz für eine unabhängige Radiostation. Eine russischsprachige, wohlgemerkt aber deutsche Radiostation. Das nämlich ist hierzulande die Voraussetzung für eine Zulassung. Allerdings wollte man sich nicht wie andere fremdsprachige Radiosender an ein bereits etabliertes Medium binden, weshalb es etwas länger gedauert hatte.
Im Jahr 2003 ging »Radio Russkij Berlin« dann auf der Frequenz 97,2 FM auf Sendung. Von Anfang an verstand man sich eher als Unterhaltungssender mit Wunschkonzerten russischsprachiger Interpreten aus allen Gebieten der einstigen Sowjetunion, Talkshows, Infos zu aktuellen Kulturveranstaltungen sowie regelmäßigen Sportsendungen. An jedem Freitag wird auf dem Sender Rabbiner Yehuda Teichtal die Möglichkeit gegeben, seine Gedanken zur wöchentlichen Parascha zu versenden.
Politische Inhalte waren dagegen weitgehend auf die Fünf-Minuten-Nachrichten zu jeder vollen Stunde beschränkt.
Das änderte sich bereits 2014 mit der Annexion der Krim, die man bei »Radio Russkji« nicht unkommentiert lassen wollte. Umgehend gingen im Sender zahlreiche zustimmende Mails, Briefe und Anrufe, teils von prominenten Persönlichkeiten aus der Ukraine, ein, wo die Sendungen offenbar online verfolgt werden. Auffallend ist, dass aus Russland solche Kommentare nicht kommen, obgleich die Propagandaabteilung des Kremls die Onlineplattform bis jetzt nicht abgeschaltet hat.
widerspruch In den Sendungen von Radio Russkji bezog man während der Coronakrise eine eindeutig andere Position zur Impfkampagne der Bundesregierung als die russischen Staatsmedien, die ja ebenfalls das im Ausland lebende russischsprachige Publikum im Auge haben. Dort war zu hören, dass Vakzine von BioNtech oder Moderna hochgradig gefährlich seien. Stattdessen empfahl man den eigenen Impfstoff Sputnik, der hierzulande jedoch gar nicht zur Verfügung stand. Viele der in Berlin lebenden Russen aber glaubten der Kreml-Propaganda. Den Moskauer Staatsmedien musste also widersprochen werden. Auf Anfrage aus dem Kanzleramt produzierte man Spots mit bekannten russischen Künstlern, die zur Impfung mit hiesigen Vakzinen rieten.
Zur Unabhängigkeit des Senders gehörte von Anfang an, sich von keiner politischen Seite finanziell unterstützen zu lassen. Man setzte zu 100 Prozent auf die Finanzierung durch Werbung. Gerade das aber ist seit dem 24. Februar ein Problem, und es wurde nicht spürbar besser, seit der Sender sich umbenannt hat. So hat beispielsweise ein bekanntes Möbelhaus seinen seit vielen Jahren laufenden Vertrag gekündigt – ohne Begründung.