Polizei und Staatsanwaltschaft haben in der vergangenen Woche zu einem Schlag gegen Hass und Hetze im Internet ausgeholt. Der Blick der Behörden richtete sich bei der bundesweit koordinierten Aktion auch auf Hass-Botschaften mit antisemitischem Hintergrund. In Bayern wurden nach Angaben des Landeskriminalamts (LKA) die Wohnungen von 23 Beschuldigten durchsucht, drei davon in München. Zahlreiche Handys, Laptops und Computer wurden sichergestellt.
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, nahm die Nachricht von der Aktion mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Sie warnt schon seit Jahren vor dem Wiedererwachen des Antisemitismus, speziell auch im Internet. »Mit den Durchsuchungen wurde klar gezeigt: Wer Hass verbreitet, der muss mit Konsequenzen rechnen«, sagte sie anlässlich der Aktion am Mittwoch vergangener Woche.
Von vereinzelten »Ausreißern« in der virtuellen Welt kann längst nicht mehr die Rede sein. Im vergangenen Jahr registrierte allein die Polizei in München 426 Delikte aus dem Bereich der Hasskriminalität – ein geradezu explosionsartiger Zuwachs von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. 90 Prozent dieser Hass- und Hetzbotschaften ordnen die zuständigen Behörden dem rechten Spektrum zu, wobei die intensiven Verbindungen zur »Querdenker«-Szene unübersehbar sind.
schwerpunkt Mit großer Aufmerksamkeit hat IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch die Ankündigung von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) zur Kenntnis genommen, den Kampf gegen Hass im Netz zu verstärken, auch um potenzielle Hetzer abzuschrecken. Zugleich hatte er weitere länderübergreifende Schwerpunktaktionen diese Art angekündigt. »Meine große Hoffnung ist«, sagte sie dazu, »dass diese klare Linie auch in Zukunft beibehalten wird.«
Im Jahr 2020 registrierte die Polizei in München 426 Delikte aus dem Bereich Hasskriminalität.
In dieser Hinsicht dürfte die rechtliche Bewertung dieser Internet-Auftritte von Justizminister Georg Eisenreich (CSU) ein beruhigender Faktor für sie sein. In einer Erklärung stellte er fest: »Hass und Hetze sind keine Bagatelle, sondern eine Gefahr für die Demokratie. Wer im Internet rassistische, beleidigende, antisemitische oder volksverhetzende Straftaten begeht, muss mit Konsequenzen rechnen.«
Auch die Haltung von Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb ist auf dieser juristischen Ebene angesiedelt. »Das Posten strafbarer Hasskommentare ist kein Kavaliersdelikt«, hält er mit Hinweis auf erhebliche Geld- oder auch Freiheitsstrafen fest. Justizminister Eisenreich hat Deutschlands ersten Hate-Speech-Beauftragten bei der Generalstaatsanwaltschaft in München angesiedelt und in ganz Bayern 22 Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften eingerichtet.
justiz Zum »juristischen Instrumentarium« bei der Bekämpfung der Welle von Hasstiraden im Internet gehört in Bayern auch Oberstaatsanwalt Andreas Franck. Der Justizminister hat den erfahrenen Ermittler, der zuletzt die Staatsschutzabteilung bei der Staatsanwaltschaft leitete und bereits im Bereich Terrorismus tätig war, zum zentralen Antisemitismusbeauftragten der bayerischen Justiz berufen. Er ist ausschließlich mit der Bekämpfung judenfeindlicher Straftaten befasst.
Für die Präsidentin der IKG ist Andreas Franck »der richtige Mann an der richtigen Stelle«. Vor allem schätzt Charlotte Knobloch das »außergewöhnliche Geschichtsbewusstsein« des Juristen und »seine Entschlossenheit im Kampf gegen den Judenhass« auch in seinen oft verkannten und verharmlosenden Formen.
Auch während der bundesweiten Aktion in den frühen Morgenstunden des 1. Dezember zeigte sich dieses besondere Engagement. Bei der Durchsuchung einer Wohnung in der Nähe des Münchner Olympiaparks, in der einer der Beschuldigten mit intensiven Kontakten in die »Querdenker«-Szene lebt, verschaffte sich Andreas Franck vor Ort selbst ein Bild.
plattform Die Daten-Auswertung der Handys, Laptops und Computer, die bei insgesamt 23 Verdächtigen in Bayern sichergestellt wurden, dürfte einige Wochen in Anspruch nehmen. Der Antisemitismus-Chefermittler verspricht sich davon weitere Einblicke in die Szene und daraus resultierende Ermittlungsansätze. Im Visier hat er dabei virtuelle, vermeintlich anonyme Plattformen, aber auch den Internet-Riesen Facebook.
Die damit verbundene Problematik hat IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch in Zusammenhang mit antisemitischen Erscheinungen in jüngerer Zeit immer wieder angesprochen. Straffreie Räume aufgrund der Struktur einer Internet-Plattform dürfe es nicht geben. Hier sei gegebenenfalls der Gesetzgeber gefordert.
Fast ein Viertel der im letzten Jahr allein von der Münchner Polizei registrierten rund 400 Fälle von Hasskriminalität im Internet hat einen antisemitischen Hintergrund. Charlotte Knobloch weiß aufgrund zahlloser Gespräche, die sie mit Betroffenen geführt hat, dass diese Zahl nur die Spitze des Eisbergs ist: »Viele von ihnen haben auf eine Anzeige verzichtet, um sich Ärger und Mühe zu ersparen.« Auch der Antisemitismusbeauftragte der Justiz, Andreas Franck, sieht hier einen Schwerpunkt seiner Tätigkeit: Juden zu ermutigen, Strafanzeige zu erstatten, wenn sie Opfer einer Straftat wurden.