Engagement

»Gegen das Schweigen«

Die Schauspielerin Andrea Sawatzki über ein Konzert für die Geiseln in Gaza

von Christine Schmitt  18.01.2024 07:21 Uhr

»Wer hat das Recht, mir meine Stimme zu verbieten?«: Andrea Sawatzki Foto: IMAGO/Marja

Die Schauspielerin Andrea Sawatzki über ein Konzert für die Geiseln in Gaza

von Christine Schmitt  18.01.2024 07:21 Uhr

Frau Sawatzki, Sie moderieren am 20. Januar in der Synagoge Rykestraße das Solidaritätskonzert »Wir sind bei euch«. Was hat Sie dazu bewogen?
Ausschlaggebend war das Schweigen, das mich hier in Deutschland seit dem 7. Oktober umgibt. Das Gefühl, allein zu sein in dieser Situation. Und eine Angst, dass ich jetzt, da schon drei Monate vergangen sind und die Geiseln immer noch gefangen gehalten werden, eventuell auch dazu veranlasst werde, mit dem Schweigen zu beginnen.

Im Dezember haben Sie in der israelischen Botschaft eine Chanukkakerze für die Geiseln angezündet.
Zusammen mit der Menschenrechtsaktivistin Düzen Tekkal. Da gab es ein Filmchen von uns, und Düzen hat es gepostet. Ich wollte das eigentlich auch. Davor habe ich auch schon sehr viel für Israel gepostet, nach dem 7. Oktober, für unsere jüdische Bevölkerung, für unsere jüdischen Freunde. Dummerweise habe ich mir dann die Reaktionen auf ihr Posting durchgelesen. Das waren viele Hassbotschaften. Wirklicher Schmutz, sodass ich gedacht habe: Nein, das poste ich jetzt nicht, das tue ich mir nicht an. Das ist vielleicht auch nicht ungefährlich in der heutigen Zeit.

Wie ging es Ihnen mit der Entscheidung?
Ich habe dann gespürt, dass ich damit sehr unglücklich war. Ich habe gedacht, es ist jetzt bei mir schon so weit, dass ich mich vor irgendetwas fürchte. Wer hat das Recht, mir meine Stimme zu verbieten? Ich habe mich dann wirklich schlecht gefühlt und war dankbar, als Florian von Heintze, der Initiator der Veranstaltung, mich fragte, ob ich moderieren möchte.

Haben Sie bereits Erfahrung mit dem Moderieren?
Nein, ich weiß auch nicht, ob mir das gelingt. Aber ich bin dankbar, dass ich aus dieser Feigheit wieder herausgerissen wurde.

Wie schafft man es, gleichzeitig unterhaltsam und würdig zu moderieren?
Das werden wir sehen. Es wird uns sicher gelingen, weil die Gäste, die kommen, jüdisch sind und die jüdische Art mitbringen, die ich sehr liebe.

Was meinen Sie damit?
Wie kann ich das beschreiben? Dieses Sich-nicht-unterkriegen-lassen, sich nicht in eine Traurigkeit, in eine Verzweiflung ziehen lassen, sondern immer wieder versuchen, hochzukommen. Und auch mit dem so eigenen jüdischen Humor, den unsere Gäste hoffentlich mitbringen. Ich spreche da vor allem den Musiker William Goldstein an, ich glaube, er hat das. Sodass man sich auch als Gast, als Zuschauer, als Zuhörer wohlfühlt und dieses warme Miteinander spüren kann, was wir hoffentlich an diesem Abend erleben werden.

Haben Sie Verwandte in Israel?
Nein, wir haben Freunde dort. Meine Schwiegermutter, Ursula Nohl, ist bereits verstorben. Sie war Jüdin und überlebte das Internierungslager Gurs. Durch sie habe ich mich schon früh mit der Schoa beschäftigt. Nun bereite ich mich gerade auf eine Lesung in Dessau im Rahmen des Kurt Weill Festes vor, bei der ich aus dem Tagebuch der Anne Frank vorlesen werde. Natürlich kenne ich das Buch, aber jetzt hat es mich wieder so zurückgeworfen, weil ich dachte, im Grunde sind wir gar nicht so weit davon entfernt.

Sie haben auch weiter Stellung zur Hamas und dem Massaker bezogen, zum Beispiel, wie mit den Frauen umgegangen wird.
Dass sich hier die ganzen Frauenrechts­organisationen in Schweigen hüllen und die Vereinten Nationen nicht helfen, dass da keiner aufsteht und sagt, das ist tatsächlich ein Feminizid, das kann nicht sein. Dass manche sagen, na ja, gut, das sind Freiheitskämpfer, die kennen das nicht anders, die haben das eben so von ihren Leuten eingeimpft bekommen, dass man Frauen so zu behandeln hat. Im Grunde genommen sind das Psychopathen. Es ist nicht möglich, dass so etwas stillschweigend akzeptiert wird.

Die Hamas publiziert auf zahlreichen Kanälen ihre Aufnahmen von den Gräuel­taten des »Schwarzen Schabbats«.
Deshalb ist es unverständlich, dass es so viele Menschen gibt, die das verleugnen und sagen, das ist doch Quatsch, es hat doch gar nicht stattgefunden. Dazu kommen Zeugenaussagen der freigelassenen Geiseln, die Zeugenaussagen der Menschen, die dabei waren und überlebt haben. Ich bin fassungslos über das Schweigen.

Was sagen die Filmschaffenden?
Ich bin tatsächlich etwas irritiert darüber, dass es von der deutschen Filmwirtschaft noch kein offizielles Statement gab, und ich bin auch irritiert darüber, dass sich nur so wenige Kollegen und Kolleginnen äußern. Ich frage mich, ob das vielleicht daran liegt, dass sie von derselben merkwürdigen Angst heimgesucht werden wie ich. Dass man irgendwann denkt, vielleicht sollte ich lieber auch den Mund halten und mich in die Reihe der Schweigenden einreihen. Was natürlich fatal wäre. Aber wenn wir Künstler nicht aufstehen, wer dann? Ich meine, wir haben ja die Öffentlichkeit, wir können Menschen erreichen. Wenn wir das nicht tun, wer hat sonst diese Möglichkeit, dieses Geschenk, dass man tatsächlich auch gehört werden kann, wenn man das möchte?

Bitte schweigen Sie nicht. Gibt es etwas, worauf Sie sich bei dem Solidaritätskonzert am 20. Januar besonders freuen?
Ich bin sehr gespannt, weil ich von Florian von Heintze schon so viel gehört habe. Er ist mit William Goldstein befreundet. Ich bin vor allem auch auf seine Improvisationen neugierig, weil er ja anscheinend die Stimmung im Publikum in Musik umsetzen kann. Ich freue mich sehr auf den ehemaligen Konzertmeister der Berliner Philharmoniker, Guy Braunstein, bin auch sehr glücklich darüber, dass eine Augenzeugin auftreten wird, die bei dem Massaker in einem Kibbuz dabei war und ihre Eindrücke schildert. Und ich bin vor allem sehr dankbar dafür, dass die Fotos sämtlicher Geiseln gezeigt werden, sodass man sie nicht vergisst.

Hat man vergessen, dass 1200 Menschen umgebracht wurden?
Ja. Und auch die Verletzten, die Verwundeten, die Traumatisierten. Es wurden unendlich viele Menschen vergewaltigt, sowohl Männer als auch Frauen. Und auch die jungen Soldaten, von denen ja auch schon unfassbar viele gestorben sind. Es ist grauenhaft, und ich finde, es ist unsere Aufgabe, den Juden und Israel in dieser Zeit beizustehen. Ich hatte das Glück, dass ich durch meine Söhne, die auf einer internationalen Schule waren, viele jüdische Familien kennenlernte. Wir waren auch zu den Barmizwa-Feiern eingeladen und zum Schabbat.

Was hat Sie beeindruckt?
Diese Innigkeit, diese Wärme unter den Juden. Der Optimismus, auch wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Und das lese ich auch gerade wieder bei Anne Frank. Das finde ich bewundernswert, und ich möchte davon auch irgendwie ein kleiner Teil sein und mich nicht abwenden, sondern unterstützen.

Mit der Berliner Schauspielerin und Buchautorin sprach Christine Schmitt.

Hamburg

»Ich sehe meine Zukunft in Deutschland«

Noam Quensel war einer von 400 Teilnehmern des Jugendkongresses. Wir haben uns mit ihm ausführlich über die Folgen des 7. Oktobers und das Ausmaß des Judenhasses unterhalten

von Michael Althaus  03.03.2025

Hamburg

Igor Levit zum Mord an Kfir, Ariel und Shiri Bibas: Ich kriege diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf

Der jüdische Pianist Igor Levit kann die Bilder der von der Hamas ermordeten Familie Bibas nicht vergessen. Sie lassen ihn nicht mehr ans Klavier. Die Anteilnahme an ihrem Schicksal hält er für beschämend gering

von Michael Althaus  03.03.2025

Hamburg

Die Jüdische Studierendenunion hat einen neuen Vorstand

Ron Dekel wurde auf der Vollversammlung der JSUD zum neuen Präsidenten gewählt. Vier weitere Vorstandsposten wurden ebenfalls neu besetzt

von Joshua Schultheis  02.03.2025

Hamburg

Der Jugendkongress 2025 hat begonnen

Unter dem Motto »Our Turn« treffen sich 400 jungen Jüdinnen und Juden ab Donnerstagabend in der Hansestadt

 27.02.2025

AJC/JSUD

Jüdische Studenten fühlen sich nicht mehr sicher

Seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel hat sich auch das Klima an den deutschen Hochschulen verändert. Ein Lagebericht zieht Bilanz und listet Forderungen auf

von Andreas Heimann  27.02.2025

Essay

Ein Davor und ein Danach

Die Ereignisse der vergangenen Jahre haben tiefe Spuren bei jungen Jüdinnen und Juden in Deutschland hinterlassen. Auf dem Jugendkongress in Hamburg verhandeln sie ihr Selbstverständnis neu

von Monty Ott  27.02.2025

Kommentar

Nach dem Erdrutsch

Die Befürchtungen sind wahr geworden – die AfD wurde zweitstärkste Partei. Der künftige Bundeskanzler muss das Land wieder zusammenführen

von Charlotte Knobloch  27.02.2025

JuKo-Umfrage

»Schlafen kann ich später«

400 junge Jüdinnen und Juden aus ganz Deutschland freuen sich auf spannende Tage in Hamburg. Sie haben sich viel zu erzählen. Wir haben uns mit einigen von ihnen unterhalten

 27.02.2025

JUKO

Das sind die Kandidatinnen und Kandidaten für den JSUD-Vorstand

Ein Überblick

 27.02.2025