Als die neue Synagoge entstand, befürchtete so mancher Dresdner Pfusch am Bau: »Das Gebäude wird ja total schief!« Heftig wurde in der sächsischen Landeshauptstadt um den zeitgenössischen Sakralbau der Architekten Andrea Wandel, Wolfgang Lorch und Nikolaus Hirsch debattiert. Der fensterlose, nach Osten gedrehte Kubus steht in starkem Kontrast zu Dresdens Barock-Silhouette. Doch die jüdische Gemeinde wollte mit der auffälligen Architektur bewusst ein Zeichen setzen: für einen Neubeginn jüdischen Lebens in Dresden.
In diesem Jahr feiert die Gemeinde das zehnjährige Bestehen ihres Gotteshauses, das nach der Wiedervereinigung die erste neue Synagoge im Osten Deutschlands war. Am 9. November 2001, mehr als 60 Jahre nach der Zerstörung der Semper-Synagoge durch die Nationalsozialisten, wurde das neue Haus eröffnet. Es steht nur ein paar Meter vom Standort seines historischen Vorläufers entfernt. Über dem Eingang prangt der vergoldete Davidstern, das einzige gerettete Originalstück der Synagoge, die Gottfried Semper 1839/40 erbaute.
Großes Interesse Inzwischen haben sich die Dresdner mit dem auffälligen Gebäude am Ende der Brühlschen Terrasse versöhnt. »Der Statistik nach müsste inzwischen ein Drittel der Dresdner Bürger die Synagoge besucht haben«, sagt Ingo Wobst, stellvertretender Vorsitzender des Vereins »Freundeskreis Dresdner Synagoge«. In Dresden ist man stolz auf eines der offensten jüdischen Gotteshäuser Deutschlands. Zahlreiche Führungen und Tage der offenen Tür laden zu Besichtigungen ein. Auch in den Gottesdiensten sind Besucher willkommen. Den Spruch über der Eingangspforte »Mein Haus sei ein Haus der Andacht allen Völkern«, nimmt man in Dresden ernst.
Aber nicht nur die Synagoge steht in diesem Jubiläumsjahr im Mittelpunkt. Unter dem Motto »Ein Jahr zum Feiern und Kennenlernen« haben die Gemeinde, der »Freundeskreis Dresdner Synagoge« und Hatikva, die Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Geschichte und Kultur Sachsen, ein Kulturprogramm auf die Beine gestellt. Höhepunkt der Veranstaltungen wird die Festwoche zwischen dem 6. und 13. November sein.
Übers Jahr verteilt wird außerdem in Vorträgen, Theaterstücken, Ausstellungen, Lesungen, Filmen und Konzerten das jüdische Leben in Deutschland gestern, heute und morgen beleuchtet.
geistliche Musik Dabei ist es der jüdischen Gemeinde Dresden wichtig, das Leben »gestern« nicht allein durch die Schoa zu definieren. Vielmehr geht es um die jüdische Emanzipation seit der Aufklärung und die Vielfalt jüdischer Kultur vor 1933. Eine Ausstellung der Arbeitsstelle für Lessing-Rezeption Kamenz spürt der Wirkungsgeschichte von Nathan der Weise nach. Sie wird am 27. Februar um 15 Uhr eröffnet. Mit einer musikalischen Besonderheit wartet die Gemeinde am 17. März um 19.30 Uhr auf. In der Synagoge wird geistliche jüdische Musik aus dem Barock zu hören sein. »Dabei war Musik für den jüdischen Ritus vor der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht üblich«, betont Ercole Nisini, der den musikalischen Gottesdienst von Salomone Rossi leiten wird.
Mit einer Vortragsreihe der Volkshochschule und der Konrad-Adenauer-Stiftung über die religiösen und gesellschaftlichen Facetten des Judentums springt das Veranstaltungsprogramm in die Gegenwart. Stichtag ist die deutsche Wiedervereinigung, mit der auch für die jüdischen Gemeinden eine neue Zeit begann. Nur knapp 70 Mitglieder hatte die Gemeinde Dresden 1989 noch – und war damit trotzdem die zweitgrößte im Osten Deutschlands. Durch den Zuzug von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion stieg die Mitgliederzahl auf heute 700. »Dadurch wurde es überhaupt erst möglich, eine neue Synagoge zu bauen«, sagt Valentina Marcenaro, die Kulturmanagerin der Gemeinde.
starke Herausforderung Mit den neuen Mitgliedern kamen auch erhebliche Herausforderungen auf die Gemeinde zu. Viele Zuwanderer müssen den Zugang zum Glauben erst wieder finden, denn »in der Sowjetunion war Religion im Allgemeinen unerwünscht«, sagt Sozialarbeiterin Johanna Stoll. »Die große Mehrheit der Zuwanderer ist in Dresden noch nicht richtig angekommen«, bedauert sie. Die Integration wird durch mangelnde Sprachkenntnisse und finanzielle Nöte erschwert. »Um diese Menschen müssen wir uns kümmern und haben damit viel zu tun«, sagt Stoll. Aus diesem Grund wirke die Arbeit bisher vor allem nach innen. Doch mit der nächsten Generation würden sich viele Sprach- und Integrationsprobleme von selbst lösen.
Nicht nur für den Gemeindenachwuchs sei ein Ausblick auf das »Jüdische Leben morgen« spannend. Doch derzeit ist noch ungewiss, ob es zu diesem Thema Veranstaltungen geben wird, denn es hapert an der Finanzierung. Die Kulturstiftung des Bundes lehnte einen Förderantrag ab, daher fällt das Festprogramm bescheidener aus, als ursprünglich geplant. Ganz hat die Gemeinde die Hoffnung aber noch nicht aufgegeben: Ein neuer Antrag läuft, eventuell wird die Zukunft jüdischen Lebens auch während der Jiddischen Musik- und Theaterwoche im Herbst thematisiert.