Die Volkszählung 2011 ist bislang noch kein großes, die Schlagzeilen beherrschendes Thema. Obwohl es an Kritik am geplanten Verfahren nicht mangelt. Datenschützer warnen davor, dass die erhobenen Daten unter anderem dazu benutzt werden könnten, um illegal in Deutschland lebende Menschen ausfindig zu machen. Zu den persönlichen Angaben, die bei der Volkszählung erhoben werden, zählt auch die Religionszugehörigkeit. Wie in Fo-
ren zu lesen ist, hoffen Aktivisten deswegen auch darauf, dass sich die jüdischen Gemeinden den Protesten gegen den Zensus anschließen.
Als die letzte Volkszählung im Jahr 1987 Schlagzeilen machte, war Josef Schuster Mitglied im Bund jüdischer Jugend. Offiziell habe man sich damals zu dem Thema nicht geäußert, erinnert sich der heutige Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Würzburg. »Wir sahen unsere Aufgabe eher in der Vernetzung jüdischer Themen.« Persönlich habe er mit dem neuen Zensus kein Problem, sagt der Arzt. »Ich kann allerdings auch gut verstehen, wenn Menschen aus der historischen Erfahrung heraus skeptisch oder gar ängstlich reagieren.«
Datenschutz Allgemein sei der Datenschutz in Deutschland sehr streng. Schuster nennt als Beispiel die Angabe der Religionszugehörigkeit beim Einwohnermeldeamt. »Die Jüdische Gemeinde Würzburg hätte natürlich ein großes Interesse daran, auf die Liste zurückzugreifen. Denn danach richtet sich schließlich auch der Eintrag in der Lohnsteuerkarte, und damit die erhobene Bekenntnissteuer. Aber eine solche Liste zu erhalten, geht aufgrund der Datenschutz-Vorschriften nicht.«
Um zu vermeiden, dass jüdische Würzburger zwar einerseits von der Gemeinde profitieren, andererseits aber keine Religionssteuer bezahlen, verlangt man »bei Mitgliederversammlungen, bei denen gewählt wird, einen Nachweis, dass man mit der Religionszugehörigkeit beim Einwohnermeldeamt angemeldet ist.« Manchmal wirke die Auskunftsverweigerung jedoch so, als sei dieses Argument, die Zugehörigkeit zum Judentum nicht angeben zu wollen, nur vorgeschoben, um weniger zahlen zu müssen, sagt Schuster.
Arno Hamburger, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Nürnberg, sieht in der Volkszählung kein Problem. »Ich mache aus meiner Religionszugehörigkeit sowieso kein Geheimnis, es kann ruhig jeder wissen, dass ich Jude bin«, betont er. Ermuntern würde die Gemeinde jedoch nieman- den, sich beim Meldeamt als Jude registrieren zu lassen. »Ich gehe davon aus, dass jeder, der sich bei der Gemeinde anmeldet, auch im zuständigen Einwohnermeldeamt seine Religionszugehörigkeit meldet.« Er frage aber durchaus nach, wenn jemand arbeitet oder ein Geschäft hat und er merkt, dass er keine Steuern bezahlt.
kritik Die von manchen Zensus-Gegnern geäußerten Ängste, die Volkszählung könne für die Diskriminierung von Juden benutzt werden, kann Hamburger nicht verstehen. »Man kann die Praxis der Nazis nicht in unsere Zeit hineinprojizieren«, sagt der 87-Jährige. »Damals wurden Daten benutzt, um unliebsame Menschen gezielt zu diskreditieren, zu verfolgen und umzubringen, heute besteht diese Gefahr nicht.«
Anonymität Grigori Lagodinski, stellvertretender Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Kassel, hat sich, wie die meisten Bundesbürger, »noch nicht sehr mit dem Thema Volkszählung« beschäftigt. Spontan, so sagt er, sehe er kein Problem, »es wird ja wohl eine anonyme Umfrage sein«. Gegen eine grundsätzliche Erhebung statistischer Daten der Bürger, so Lagodinski weiter, habe er »als solches nichts einzuwenden. Ich verstehe die datenschutzrechtlichen Bedenken der Kritiker der kommenden Erhebung. Da wir als Bürger schon viele Daten mit den Behörden teilen, ist diese Erhebung keine große Steigerung, solange der Gesetzgeber eine Anonymisierung der Datensätze gewährleistet.« Der Zusatz der religiösen Zugehörigkeit sei unter diesen Bedingungen kaum ein Problem. Anders sei es zum Beispiel bei der Angabe im Finanzamt. Dort sei die Angabe der Religionszugehörigkeit mit der konkreten Person verbunden.
Zweck Außerdem müsse man bedenken, dass es »sich ja nicht um eine kommerzielle Befragung, handelt, sie diene sozusagen einem höheren Zweck. Die demografischen Daten werden für die Arbeit von Politik und Verwaltung gebraucht.« Dass ältere Zuwanderer ein Problem damit haben könnten, ihre Religionszugehörigkeit anzugeben, glaubt Lagodinski nicht: »Durch die Erfahrungen in der Sowjetunion ist das Vertrauen in die deutschen Behörden eher größer – dazu muss man auch sehen, dass die Immigranten ins Land kamen, eben weil sie das Gefühl hatten, diesem Land und seinen Behörden vertrauen zu können.«
Denn »dass in den sowjetischen Pässen bei jüdischen Bürgern in diskriminierender Absicht als Nationalität ›Jude‹ vermerkt worden war, ist natürlich ein himmelweiter Unterschied dazu, bei einer Volkszählung, bei der strikte Datenschutzregeln gelten, die Frage nach der Religionszugehörigkeit zu beantworten«.
Zugehörigkeit Leo Friedmann, Leiter des jüdischen Altenheims in Frankfurt/Main, sieht die Volkszählung ebenfalls recht gelassen. 1987 hatte er »teilweise noch in Italien gelebt«, das Thema spielte für ihn deswegen kaum eine Rolle. Für viele Migranten sei es damals nicht einfach gewesen, sich »als Mitglied einer jüdischen Gemeinde zu bekennen«, erinnert sich Friedmann, der Ende der 80er-Jahre Vorsitzender der Gemeinde in Heidelberg war. »Die Angst war vielen eingeimpft«, sagt er. »Man fürchtete, hier nun auch als Juden diskriminiert zu werden.«
Heute sei dies anders, für die Bewohner des Altenheims stehe »die Zugehörigkeitsfrage nicht mehr im Vordergrund, auch wenn man politisch natürlich immer ein wenig ängstlich auf Meldungen über Rechtsextremismus reagiert.« Die Zeiten des Misstrauens seien allerdings vorbei. »Nun können viele endlich wieder so leben, wie sie es noch als Kinder gewohnt waren und sich selbstbewusst als dem Judentum zugehörig bekennen.«