An diesem stürmischen Sonnabendnachmittag bekam »Pegida«
(Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) Gegenwind. 35.000 Dresdner demonstrierten für Weltoffenheit und Toleranz. Zu der Aktion hatten Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz und der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich (beide CDU), aufgerufen. Auch die Jüdische Gemeinde zu Dresden appellierte an ihre Mitglieder und Freunde, zu der Kundgebung unter dem Motto »Für Dresden, für Sachsen – für Weltoffenheit, Mitmenschlichkeit und Dialog im Miteinander« zu gehen.
Von der Bühne vor der Frauenkirche aus wandten sich neben der Oberbürgermeisterin und dem Ministerpräsidenten auch Vertreter der Wirtschaft und der Gewerkschaften sowie der Kirchen an die Zuhörer. Für das Islamische Zentrum Dresden sprach Khaldun Al Saadi, für die jüdische Gemeinde trat Nora Goldenbogen ans Mikrofon. Selbst der Schlagersänger Roland Kaiser war unter den Rednern. Der Entertainer warf seine Popularität in Dresden in die Waagschale, um für Toleranz zu werben. Den Soundtrack zur Veranstaltung lieferte jedoch die Reggae-Band »Yellow Umbrella«. Die 35.000 Menschen auf dem Neumarkt sangen mit beim Song »No Pegida«.
grossaktion Nicht Worte bildeten jedoch den Auftakt zu der Großaktion, sondern eine Schweigeminute zum Gedenken an die Opfer der Terroranschläge in Paris. »Je suis Charlie aber nicht Pegida« war auf Plakaten zu lesen. Oberbürgermeisterin Orosz nahm direkt Bezug auf die Attentate auf das Satiremagazin »Charlie Hebdo« und einen jüdischen Supermarkt in Paris und erklärte unter dem Beifall der Zuhörer: »Wir lassen uns durch keinen Hass spalten.« Auch Nora Goldenbogen, die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, warnte davor, sich in einen Krieg der Kulturen verwickeln zu lassen: »Krieg und Terror sind die Gefahren, nicht Muslime und Flüchtlinge.« Goldenbogen lobte die »gute Nachbarschaft«, die die jüdische Gemeinde mit der muslimischen Gemeinschaft in Dresden pflege.
Der Sprecher des Islamischen Zentrums verurteilte die Terrorattacken von Paris auf das Schärfste, warnte aber zugleich vor Vorurteilen und davor, Flüchtlinge pauschal zu kriminalisieren. Menschen muslimischen Glaubens müssten in Dresden einen »demütigenden Kampf um Vertrauen« führen, so Al Saadi.
ängste Auch Ministerpräsident Tillich fand deutliche Worte. Es gebe Grenzen des politischen Anstandes: »Wer gegen alles Fremde polemisiert und Ängste gegen Ausländer, Flüchtlinge und Asylsuchende schürt, mit dem lässt sich nicht sachlich reden«, sagte Tillich, indirekt an Pegida gewandt. Gleichwohl kündigte er für die nächsten Tage »viele Gesprächsangebote« auf kommunaler und Landesebene an.
Das Gespräch mit Pegida zu suchen, hält auch Heinz-Joachim Aris, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen der Jüdischen Gemeinden, für den einzigen gangbaren Weg. »Die 18.000 Pegida-Anhänger, die am letzten Montag aufliefen, sind ja nicht alles Rechte. Da vermischen sich berechtigte Sorgen mit idiotischen Losungen.« Die Jüdische Gemeinde Dresden nimmt Pegida nicht auf die leichte Schulter. Es herrsche »große Beunruhigung«, so Aris, auch wenn es bisher keine Pegida-Slogans gegen Juden gab. Allein die Massenauftritte von Pegida seien beängstigend. »Fehlen nur noch die Fackeln«, kommentiert Aris, ein Überlebender der NS-Zeit, in Anspielung auf Nazi-Aufmärsche.
diskussionen Die Politik hätte schneller auf das Phänomen Pegida reagieren müssen, meint der Landesvorsitzende. Aber auch von den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde wünscht sich Aris mehr Teilnahme an den politischen Ereignissen. Gerade die Zuwanderer könnten Erfahrungen in die Diskussionen einbringen.
Schon jetzt steht fest, dass Intoleranz und rechtes Gedankengut die Juden in Dresden und Sachsen auch in den kommenden Wochen weiter beschäftigen werden. Der Landesverband wird Anfang Februar eine Erklärung zu Pegida abgeben. Und die Pegida-Demonstrationen sind nicht das einzige Problem. In einem Monat gedenkt Dresden wieder der Zerstörung der Stadt in Zweiten Weltkrieg. Aus diesem Anlass werden regelmäßig sogenannte »Gedenkmärsche« von Neonazis angemeldet. Auch in diesem Jahr werden Dresdner Bürger dagegen wieder eine Menschenkette bilden. Die Jüdische Gemeinde ist dabei und lädt im Anschluss zu einem offenen Gottesdienst in die Synagoge ein.