Aktion

»Für viele hat sich das Problem erledigt«

Holger Michel organisiert Mahnwachen gegen Antisemitismus. Foto: Gregor Zielke

Aktion

»Für viele hat sich das Problem erledigt«

Holger Michel über Mahnwachen gegen Antisemitismus, Unterstützer und Perspektiven

von Ralf Balke  27.06.2021 00:16 Uhr

Herr Michel, seit einigen Wochen organisieren Sie Mahnwachen nahe der Synagoge Fraenkelufer. Was ist die Idee dahinter?
Antisemitismus ist ja kein neues Problem in Europa oder Deutschland. Er ist da, wenn auch für viele nicht sichtbar – oder ignorierbar. Im Mai aber, mit Beginn des neuerlichen Konflikts zwischen Israel und der Hamas, explodierte das ja förmlich. Aggressive Demonstrationen, »Scheiß Juden«-Rufe, Angriffe auf Juden und Synagogen wie in Gelsenkirchen und Ulm. Es war unmöglich, den Antisemitismus zu übersehen oder zu ignorieren. Für mich und Niklas Kossow, den Kandidaten der SPD im Berliner Bezirk Kreuzberg, war das der Auslöser, dass wir etwas tun wollten. Wir haben dann mit der Synagoge am Fraenkelufer gesprochen und gefragt, ob es für sie in Ordnung ist, wenn wir bei ihnen eine Mahnwache für jüdisches Leben und gegen jede Form von Antisemitismus organisieren.

Wie war die Resonanz darauf?
Zu der ersten Mahnwache erschienen rund 50 Personen. Wir hatten auch die demokratischen Parteien angeschrieben und eingeladen, sich daran zu beteiligen. Einzige Bitte: Es sollten keine Wahlkampfreden gehalten werden. Außerdem sollte es nicht um den Nahostkonflikt gehen, sondern um jüdisches Leben und Antisemitismus in Deutschland. Bettina Jarasch, Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, war die erste Politikerin, die sich bei uns meldete. Beim zweiten Mal sprachen auch Vertreter von SPD, Linken und FDP. Die ersten Mahnwachen fanden wöchentlich statt, jetzt machen wir sie monatlich, damit es sich nicht abnutzt, auch wenn wir eigentlich sieben Tage die Woche Mahnwachen bräuchten.

Wo genau findet die Mahnwache statt?
Die Mahnwache war ursprünglich für die Ecke Fraenkelufer und Kottbusser Damm geplant, nach Rücksprache mit der Polizei haben wir sie eine Ecke weiter verlegt an die Admiralsbrücke, da zeitgleich eine Anti-Israel-Demo den Kottbusser Damm entlang führen sollte. Das ist sicherer, auch wenn uns trotz Polizeipräsenz »Free Palestine«- und »Juden raus aus Palästina«-Rufe entgegenschallten.

Wer unterstützt Ihre Idee?
Sowohl die Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskrimierung OFEK als auch IBIM, das Intersektionale Bildungswerk in der Migrationsgesellschaft, sowie der Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas und AMCHA Deutschland, das Zentrum für psychosoziale Hilfe für Überlebende des Holocaust, wo ich seit 2012 mit im Vorstand bin. Auch mit den Mitgliedern des Vereins Freunde der Synagoge Fraenkelufer sind wir eng vernetzt. Ich persönlich kenne sie bereits seit unserer ehrenamtlichen Arbeit in der ehemaligen Geflüchtetenunterkunft im Rathaus Wilmersdorf 2015.

Wie sah die letzte Mahnwache am vergangenen Freitag aus?
Ehrliche Antwort? Bitter. Es kamen ein paar Vertreter der beteiligten Partner, zugesagte Redner von drei Parteien, ein halbes Dutzend Teilnehmende, Niklas Kossow und ich. Wir können jetzt über die Gründe spekulieren: zu gutes Wetter, Freitag 18 Uhr, paralleles EM-Spiel Kroatien–Tschechien? Ehrlich gesagt glauben wir, für sehr viele hat sich das Problem des Antisemitismus erledigt, weil es gerade mal zwei Wochen keine aufsehenerregenden Übergriffe oder gewalttätigen Demonstrationen gab. Ist doch nichts passiert, warum sollen wir demonstrieren? Aus konfliktpsychologischer Sicht ist das natürlich fatal. Wenn man auf Prävention verzichtet und nur noch im Falle der Eskalation reagiert, werden wir den Judenhass niemals ausrotten können. Wir sehen das Problem auch auf einer anderen Ebene. Von den fünf angefragten Parteien hat eine nicht einmal reagiert. Wir überlegen jetzt gemeinsam, ob und wie wir weitermachen und besser mobilisieren. Aufgeben ist dabei keine Option.

Mit dem Organisator der Mahnwachen an der Synagoge Fraenkelufer sprach Ralf Balke.

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025

Feiertage

Hymne auf die Freiheit

Der Alexander-Moksel-Kindergarten führte im Gemeindezentrum ein Pessach-Musical auf

von Vivian Rosen  17.04.2025

Berlin

Mazze als Mizwa

Das Projekt »Mitzvah Day« unterstützt die Berliner Tafel mit einer Lebensmittel-Spende

von Katrin Richter  17.04.2025

Berlin

Berlin: Gericht bestätigt fristlose Kündigung von Rabbiner

Das Berliner Arbeitsgericht hat die fristlose Kündigung eines Rabbiners wegen sexueller Belästigung eines weiblichen Gemeindemitglieds bestätigt

 16.04.2025

Jewrovision

»Schmetterlinge im Bauch«

Nur stilles Wasser trinken, noch einmal gut essen, dann geht es auf die Bühne. Die Moderatoren Masha und Gregor verraten, wie sie sich vorbereiten und mit dem Lampenfieber umgehen

von Christine Schmitt  16.04.2025

München

Hand in Hand

Ein generationsübergreifendes Social-Media-Projekt erinnert an das Schicksal von Schoa-Überlebenden – Bayern-Torwart Daniel Peretz und Charlotte Knobloch beteiligen sich

von Luis Gruhler  15.04.2025