Mit einem gemeinsamen Vertrag zum Schutz jüdischer Einrichtungen und zur Abwehr von Antisemitismus setzen die Landesregierung Baden-Württembergs und die Israelitischen Religionsgemeinschaften Badens und Württembergs ein Signal gegen Antisemitismus. Im Rahmen des in der vergangenen Woche unterzeichneten Vertrages wird die Landesregierung im laufenden Jahr für bauliche Sicherheitsmaßnahmen von jüdischen Einrichtungen Mittel in Höhe von zunächst einer Million Euro zur Verfügung stellen.
Für Personal im Sicherheitsbereich sowie für Alarm- und Meldesysteme stellt das Land in den kommenden drei Jahren der Vertragslaufzeit zudem rund 1,17 Millionen Euro jährlich bereit.
»Jüdisches Leben ist wieder aktiver Teil unserer vielfältigen Gesellschaft.«
Barbara Traub
»Jüdisches Leben ist wieder aktiver Teil unserer vielfältigen Gesellschaft, doch der Ungeist des Antisemitismus ist längst nicht verschwunden«, sagte Barbara Traub bei einer Videokonferenz anlässlich des Vertragsabschlusses. Daher dankten die jüdischen Gemeinden ihrer Landesregierung für die Unterstützung der Sicherheitsmaßnahmen, sagte die Vorstandssprecherin der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württembergs (IRGW).
Grundsicherung Einen »besonderen Tag« nannte auch Rami Suliman den Tag der Unterzeichnung. »Nachdem wir im Jahre 2010 einen Staatsvertrag über die wirtschaftliche Grundsicherung unserer Gemeinden abgeschlossen hatten, müssen wir es heute tun, um Leib und Leben von Juden in unserem Land zu schützen, das hätten wir damals nicht erwartet«, so der Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden (IRG Baden).
Er sei traurig, dass solche Maßnahmen überhaupt nötig seien. »Aber wir sind auch stolz auf die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der Landesregierung und allen demokratischen Fraktionen im Landtag sowie auf die Unterstützung durch die Zivilgesellschaft. Gemeinsam werden wir unsere freiheitliche Demokratie gegen diejenigen, die nicht auf dem Boden des Grundgesetzes stehen, verteidigen«, betonte Suliman.
»Mit großer Sorge beobachten wir, dass der Antisemitismus gerade in der jüngsten Vergangenheit wieder auf dem Vormarsch ist, in den Köpfen der Menschen, in den sozialen Medien und leider auch in Form von schweren Straftaten, auch in Baden-Württemberg«, begründete Winfried Kretschmann in der Videokonferenz den Abschluss des Vertrages. Es sei daher wichtig, dass das Land gemeinsam mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften Badens und Württembergs diesen Vertrag unterzeichne, so der Ministerpräsident von Baden-Württemberg.
»Antisemitismus bedroht uns in unseren Grundfesten.«
Winfried Kretschmann
Er habe »in vielen Gesprächen mit Jüdinnen und Juden von der Angst und Unsicherheit« erfahren, die Gläubige täglich erleben, etwa wenn sie Gottesdienste feiern, Berichte über antisemitisch motivierte Straftaten verfolgen oder aus Angst vor Angriffen lieber keine Kippa tragen. »Diese Erzählungen von Menschen, die mitten in unserer Gesellschaft leben, schmerzen mich sehr«, bekannte Winfried Kretschmann.
Mit dem Vertrag zum Schutz jüdischer Einrichtungen und zur gemeinsamen Abwehr des Antisemitismus mit den Israelitischen Religionsgemeinschaften setze die Landesregierung ein klares Zeichen gegen Ausgrenzung und Zwietracht und fülle gesellschaftliche Grundwerte wie Freiheit, Menschenwürde und Toleranz mit Leben, so der Ministerpräsident. »Für mich und meine Landesregierung ist klar, dass Antisemitismus uns in unseren Grundfesten bedroht, weil er genau die Werte infrage stellt, auf denen unser friedliches Miteinander basiert«, ist Kretschmann überzeugt.
Akademie Neben der Unterstützung von Sicherheitsmaßnahmen beinhaltet der Vertrag auch die finanzielle Unterstützung des Aufbaus einer Jüdischen Akademie für Baden-Württemberg mit jährlich 200.000 Euro. »Die künftige Jüdische Akademie wird den Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu jüdischer Religion, Kultur, Tradition und jüdische Perspektiven auf die drängenden Fragen unserer Zeit eröffnen«, konkretisiert IRGW-Vorstandssprecherin Barbara Traub. Die Jüdische Akademie Baden-Württemberg werde den Abbau von Vorurteilen ermöglichen und Antisemitismus auch auf der Bildungsebene entgegenwirken können, betont Traub.
Mit einer Jüdischen Akademie in Baden-Württemberg möchte man »ins Land hinaus« gehen.
Bis zur offiziellen Vorstellung der Akademie werde jedoch noch ein wenig Zeit vergehen. »Wir haben ja schon Begegnungsmöglichkeiten im interreligiösen Lehrhaus, bei den Jüdischen Kulturwochen und den Veranstaltungen des Forums jüdische Bildung und Kultur, doch die sind eher auf städtischer Ebene wirksam«, erklärt Barbara Traub.
Mit einer Jüdischen Akademie für Baden-Württemberg wolle man »ins Land hinaus« gehen und gemeinsam mit vorhandenen Bildungseinrichtungen wie den Volkshochschulen Bildungs- und Präventionsarbeit leisten. »Da müssen wir noch recherchieren, bewusst auf Menschen zugehen und sie vielleicht auch in ihren eigenen Räumen, etwa in Kirchengemeinden, erreichen«, sagt die IRGW-Vorstandssprecherin.