Porträt der Woche

Für die Spender da sein

»Es sind nicht nur Juden, die uns unterstützen, sondern auch Christen«: Moshe Oppenheimer Foto: Rafael Herlich

Eine Annonce in der Zeitung war der Auslöser dafür, dass ich seit nunmehr 18 Jahren in Deutschland lebe. Der Jüdische Nationalfond Keren Kayemeth Leisrael (KKL) suchte für das Büro in München einen Delegierten. Ich bewarb mich, weil ich just zu dieser Zeit auf der Suche nach einer neuen Beschäftigung war, und bekam die Stelle. Vorher arbeitete ich als Geschäftsführer in der Schokoladenfabrik, die mein Vater gegründet hatte.

Die Fabrik haben wir aber 1997 verkauft. Es gibt sie immer noch unter dem Namen Oppenheimer, sie ist bekannt in Israel – nicht nur für die Schokolade, sondern auch für Marzipan. Nach dem Verkauf der Firma stand ich ohne Arbeit da und stellte fest, dass ich mich auf diese Situation gar nicht vorbereitet hatte. Es fügte sich, dass ich das Stellenangebot des Jüdischen Nationalfonds entdeckte. Meine Mutter war sehr dagegen, dass ich nach Deutschland gehe. Daher war es für mich nicht leicht, die Entscheidung zu treffen.

Entscheidung Meine Familie mütterlicherseits stammt aus Fürth. Meine Großeltern schickten 1938 ihre Kinder nach Israel, sie selbst blieben in Deutschland, weil sie die alte und kranke Großmutter nicht zurücklassen wollten. Zwei Wochen, nachdem die Großmutter meiner Mutter starb, wurden ihre Eltern deportiert und im Konzentrationslager ermordet. Für meine Mutter stand fest, dass sie nie wieder deutschen Boden betreten würde. Daran hat sie sich gehalten und uns – im Gegensatz zu meinem Vater – hier kein einziges Mal besucht. Weil sie jedoch wusste, dass ich Gutes mache für das Volk und das Land Israel, konnte sie sich mit meiner Entscheidung doch noch arrangieren.

Meine Frau und unser jüngster Sohn sind mit mir nach Deutschland gekommen. Unser Sohn ging aber nach knapp zwei Jahren wegen seines Militärdienstes nach Israel zurück und ist dort geblieben. Alle unsere Kinder – sie sind zwischen Mitte 30 und Anfang 40 – leben in Israel. Wir sind eine große Familie: Zwei Töchter, zwei Söhne und 13 Enkelkinder haben wir. Einmal im Jahr kommen wir zusammen und machen Urlaub in unterschiedlichen Ländern. Zuletzt waren wir alle in Slowenien und haben dort ein großes Ferienhaus gemietet.

Das machen wir meistens so, auch damit wir selbst kochen können. Ich bin zwar nicht extrem orthodox, aber schon sehr religiös, halte mich an religiöse Vorschriften und esse koscher. Viele fragen mich, wie ich das einhalten kann hier in Deutschland. Ich schmunzle dann immer und antworte: Ich sehe doch nicht ausgehungert aus, das heißt also, man kann hier koscher leben. Im Restaurant kann man ja Salate oder Gemüsegerichte essen. Inzwischen gibt es in fast allen Lokalen Vegetarisches auf der Speisekarte.

Der KKL hat weltweit mehr als 65 Filialen, darunter in Ländern wie den USA, Australien, Dänemark und Großbritannien. In Deutschland gibt es Büros in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München, wo ich die ersten drei Jahre in der Abteilung Spenden gearbeitet habe. Als ich gefragt wurde, ob ich bereit wäre, nach Frankfurt umzuziehen und die Abteilung Testamente und Nachlässe zu leiten, habe ich, ohne lange überlegen zu müssen, zugestimmt. Bei meiner Arbeit geht es unter anderem darum, den Kontakt zu den Menschen zu halten, die den Jüdischen Nationalfonds bereits in ihrem Testament als Erben berücksichtigt haben. Derzeit betreue ich bundesweit etwa 30 Spender. Ich besuche sie regelmäßig und kümmere mich um sie.

geschichte Ich weiß schon eine Woche im Voraus, welche Termine anstehen. Meistens bin ich mit dem Auto unterwegs, damit ich die Touren so zusammenstellen kann, wie es mir gut passt, und damit ich flexibel sein kann bei der Rückreise. Die Dienstreisen nutze ich auch dafür, mir die Orte anzuschauen. Inzwischen kenne ich mich sehr gut aus in Deutschland, bestimmt besser als manch Einheimischer.

Und wenn ich bei meinen Stadtrundgängen Antiquitätengeschäfte und Trödelläden entdecke, dann gehe ich hinein und stöbere. Ich sammle nämlich jüdische Kultgegenstände. Bevor ich mich auf den Weg mache, erkundige ich mich außerdem, ob es in dem jeweiligen Ort jüdisches Leben gibt oder gab, ob es was zu besichtigen gibt. Die Geschichte des Judentums in Deutschland interessiert mich sehr. Mit dem Holocaust beschäftigte ich mich intensiv und lese darüber viele Biografien und Sachbücher. Romane hingegen sind nichts für mich.

Ich bin zwar viel unterwegs, bemühe mich aber, nicht so häufig auswärts zu nächtigen. Wenn ich zu Hause bin, beginnt mein Tag ziemlich früh. Ich gehe regelmäßig zum Gottesdienst in die Westend-Synagoge. Das Gebet beginnt um 7.15 Uhr. Ab und an springe ich als Chasan ein. Wir wohnen in der Nähe, sodass ich mit dem Fahrrad zur Synagoge fahren kann. Nach dem Gottesdienst fahre ich wieder nach Hause und frühstücke. Danach arbeite ich meine To-do-Liste ab und komme meist nicht vor Mitternacht ins Bett. Abends sehe ich mir Nachrichten im Fernsehen an, beantworte E-Mails und lese Bücher.

Tora Ich versuche auch, Tora zu lernen. Leider komme ich nicht immer dazu, einen anderen Vorsatz regelmäßig umzusetzen: ins Fitnessstudio zu gehen. Wenn ich am Wochenende nicht auswärts auf Terminen bin, dann gehen meine Frau und ich auch mal ins Theater oder sonntags zu Matinéen. Der Vormittag ist eine gute Zeit für Konzerte, man ist nicht müde und kann sich auf die Musik konzentrieren. Wir treffen an Wochenenden auch Freunde und gehen gemeinsam aus – viele unserer Freunde sind ebenfalls Israelis. Freitagabends laden wir zum Schabbat ein. Vier bis acht Gäste sind eigentlich immer da.

Meine Tätigkeit hat meiner Ansicht nach sehr viel mit Sozialarbeit zu tun; ich bin für die Spender, sofern sie es wollen, wirklich da. Das mache ich sehr gerne und aus voller Überzeugung, unabhängig davon, ob uns jemand 100, 1000 oder eine Million Euro vererbt. Manche unserer Spender sind schon sehr alt, etliche auch einsam. Sie brauchen Zuwendung und freuen sich darüber, wenn ich sie besuche. Es gibt etwa eine alte Dame, sie ist 94 Jahre alt. Ich habe ihr jüngst eine Pflegerin organisiert, damit sie zu Hause wohnen bleiben kann. Wenn möglich, sollten meiner Ansicht nach die alten Menschen nicht ihr gewohntes Umfeld verlassen. Ich bin kein Freund von Altersheimen. Alte Menschen haben es verdient, ihren Lebensabend würdevoll zu verbringen.

Derzeit muss ich mich mit einem weniger erfreulichen Fall befassen: Ein Freund der Familie mit Bankvollmacht hatte sich am Konto der alten Dame bedient, regelmäßig Geld abgehoben und mit ihrer Kreditkarte eigene Rechnungen bezahlt – mehr als 70.000 Euro, wie wir anhand der Kontoauszüge rekonstruiert haben. Es passiert immer wieder einmal, dass alte und schon etwas verwirrte Menschen dazu gebracht werden, ihr Testament zu ändern.

erfahrung Auch deshalb besuche ich die Spender regelmäßig: um solchen Fällen vorzubeugen. Es sind übrigens nicht nur Juden, die uns unterstützen, sondern auch Christen. Neulich hatte ich eine Verabredung mit einer Frau, die mir erklärte, dass sie einen Teil ihres Vermögens dem KKL überschreiben wolle. Es stamme aus dem Verkauf einer Villa enteigneter Juden; die Immobilie wiederum hätten ihre Eltern einst für wenig Geld gekauft. Die Frau war der Ansicht, dass das Geld ihr nicht zustehe. Ich denke, dass für die Aufgaben, die mir anvertraut wurden, Lebenserfahrung wichtig ist.

Ich bin jetzt 68 Jahre alt und habe sehr viel Freude an meiner Arbeit. Normalerweise gehen die KKL-Delegierten für zwei bis drei Jahre ins Ausland. Es scheint, dass ich meinen Job nicht schlecht mache, denn ich bin schon seit 18 Jahren dabei. Wenn Gott mir die Kraft gibt, dann würde ich es gerne so lange weitermachen, wie ich kann.

Aufgezeichnet von Canan Topçu.

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