Heute ist es nur ein Gasbrenner, der einmal im Jahr und mit Genehmigung des Kreisverwaltungsreferats im Rasen des Königsplatzes eine Brandspur hinterlässt. Seit 1995 erinnert der Aktionskünstler Wolfram P. Kastner am 10. Mai mit dieser Performance an jene Brandspuren, die die Nazis 1933 an der gleichen Stelle hinterließen. Damals waren es brennende Bücher, die nicht »deutsch« genug waren, die den Rasen unter dem Gegröle Tausender Münchner versengten.
Die Erinnerung an jenen Tag wachzuhalten, kommt nicht nur für Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, einer Verpflichtung gleich. Ein Grund dafür ist, dass unter den Autoren, deren Bücher von den Nazis verboten wurden, auch viele Juden waren.
Elementarer ist für die Frau an der Spitze der jüdischen Gemeinde Münchens in diesem Zusammenhang aber eine andere Erkenntnis. »Die Bücherverbrennung«, analysiert sie das Spektakel im Rückblick, »hat die Gnadenlosigkeit sichtbar gemacht, mit der die Nazis damals ganz gezielt ihre Politik betrieben.«
UNTERDRÜCKUNG Begriffe wie Ausgrenzung, Ausschaltung und Unterdrückung sind mit den brennenden Büchern eng verbunden. »Es waren ja keine zufällig ausgewählten Schriftsteller und Autoren, die auf den Index kamen«, erinnert IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch an die damaligen Verhältnisse.
Ein Mahnmal soll an die von den Nazis verfolgten Autoren erinnern.
Ein Hinweis auf den Unterdrückungsapparat, den die Nazis entwickelt hatten, um Kritiker auszuschalten, findet sich im Gemeindezentrum, genauer gesagt, im Restaurant »Einstein«.
Dort hängt das Bild des Namensgebers an der Wand. Auch der weltbekannte Wissenschaftler mit jüdischem Hintergrund zählte zum Kreis der »unerwünschten Personen«.
WISSENSCHAFTLER Albert Einstein konnte sich mit seiner Flucht ins Ausland noch rechtzeitig vor den Nazis in Sicherheit bringen, anderen Wissenschaftlern, Autoren und Künstlern gelang das nicht. Viele landeten im Konzentrationslager.
Wolfram P. Kastner benutzt ein Wortspiel, um den Sinn seiner Aktion zu erklären.
In der Vereinbarung mit der Stadt ist festgehalten, dass der Rasen nach dem Einsatz des Gasbrenners wieder in den ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden muss. Darüber sorgt er sich nicht. »Im Mai und gut gedüngt wächst das Gras schnell wieder nach«, stellt er trocken fest. Wichtiger ist ihm, dass »kein Gras über die Ereignisse von damals wächst«. Doch eine der Bedeutung angemessene Erinnerung ohne coronabedingte Einschränkungen wird voraussichtlich erst im nächsten Jahr wieder möglich sein.
LESUNGEN So war es dann auch eher Zufall, dass sich einige Persönlichkeiten zum üblichen Zeitpunkt auf dem Königsplatz einfanden und mit gebührendem Sicherheitsabstand zueinander aus Werken der damals verbotenen Autoren vorlasen. IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch hatte Heinrich Heines Almansor gewählt, der Landtagsabgeordnete Florian von Brunn entschied sich für Kurt Tucholsky, Oliver Leeb für Oskar Maria Graf und Silvie-Sophie Schindler für Stefan Zweig.
Zeitgleich mit der Atkion auf dem Königsplatz wurde auch die Internetseite freigeschaltet.
Zeitgleich mit der Aktion am Königsplatz schaltete Wolfram P. Kastner die Internetseite https://lesungausverbranntenbuechern.de frei, die mindestens ein Jahr lang virtuell aufgesucht werden kann.
Auf der Seite finden sich rund 100 Lesungen aus damals verbrannten Büchern. Zu den Lesern gehören etwa Staatsminister Bernd Sibler und der Liedermacher Konstantin Wecker, dazu Schauspieler, Autoren, Musiker und viele andere »Büchernarren«.
»Ihnen allen«, konstatiert Kastner, »ist es ein Anliegen, die Freiheit des Wortes und des Geistes zu bewahren und gegen braune Pest sowie rechtsextremistisches Geplärre zu verteidigen.«
Solche der Demokratie dienenden Prozesse hat auch die Stadt München im Auge. Vor zwei Jahren wurde im Kulturausschuss beschlossen, ein künstlerisch gestaltetes Mahnmal zur Erinnerung an die Bücherverbrennung und die verfolgten Autoren zu errichten.
ENTWURF Verwirklicht wurden die Pläne des Künstlers Arthur Dreyblatt bisher aber nicht. Sein Entwurf sieht eine begehbare Scheibe mit den Namen der Schriftsteller vor.
Der Standort des geplanten Mahnmals vor der Staatlichen Antikensammlung wäre angemessen. In unmittelbarer Nachbarschaft befanden sich von 1933 bis 1945 Verwaltung und Parteizentrale der NSDAP, das berühmt-berüchtigte »Braune Haus«. München war damals die »Hauptstadt der Bewegung«, von hier aus lenkte der Parteiapparat das Regime.