Herr Lehrer, am 1. Januar ist das dritte Pflegestärkungsgesetz (PSG III) in Kraft getreten. Sie haben es heftig kritisiert. Warum?
Es benachteiligt unsere Zuwanderer. Das neue PSG III überführt die bisherigen drei Pflegestufen in fünf Pflegegrade. Die Pflegeversicherten machen dabei einen Sprung um zwei Grade. Unsere Zuwanderer haben mehrheitlich den Status der Nichtversicherten, da viele nicht wirklich in Deutschland erwerbstätig waren. Sie springen, obwohl ihnen eine eingeschränkte Alltagskompetenz bescheinigt wurde, nicht um zwei Pflegegrade, sondern nur um einen Pflegegrad. Hier wollen wir eine Gleichbehandlung mit den Versicherten schaffen.
Welche Personengruppe haben Sie dabei genau im Blick?
Es geht vor allem um die Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion, die in jüdischen Eltern- und Altersheimen untergebracht sind. Sie machen – im Unterschied zu den anderen Verbänden aus der Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege – 75 Prozent unserer Heimbewohner aus. Wir sprechen hier von rund 1000 Personen in ganz Deutschland.
Die Personengruppe ist also nicht allzu groß. Es wird weitere Gespräche mit dem Bundesministerium für Arbeit geben. Wie wollen Sie weiterverhandeln?
Unser Ziel ist, die Ungerechtigkeit gegenüber den Versicherten auszugleichen. Wir wollen keinen Präzedenzfall schaffen, auf den sich andere Kleingruppen in Hinblick auf eigene Forderungen berufen könnten. Wir könnten daher der Bundesregierung eine Alternativlösung zum Ausgleich vorschlagen. Wie gesagt, wir sprechen von rund 1000 Personen, für die über zehn bis 15 Jahre die Differenz zwischen den Pflegegraden zwei und drei ausgeglichen werden sollte. Der Betrag, der sich aus diesem Beispiel ergibt, ist nicht allzu hoch. Wir halten unsere Idee für eine praktikable Lösung und werden sie gegebenenfalls bei einem nächsten Treffen vorbringen.
Wir haben nur über Heimbewohner gesprochen. Trifft das PSG III nicht auch auf ambulant Pflegebedürftige und kurzzeitige stationäre Betreuung zu?
Ja, es betrifft auch diesen Personenkreis. Über die Heimbewohner haben wir die gesichertsten Zahlen. Ein derart genauer Überblick über diejenigen, die von ihren Verwandten gepflegt werden, existiert bislang nicht.
Der Leiter des Nelly-Sachs-Hauses in Düsseldorf, Bert Römgens, wurde kritisert, weil er sagte, die Gemeinden müssten fehlende Leistungen kompensieren. Was sagen Sie dazu?
Wenn der Fall eintritt, dass jemand durch Refinanzierung nicht den notwendigen Beitrag aufbringen kann, wird die Gemeinde dafür sorgen, dass er trotzdem in das entsprechende Alters- oder Pflegeheim aufgenommen wird, und gegebenenfalls eine Zusatzfinanzierung aus eigener Tasche aufbauen. Jüdische Gemeinden sind schließlich Solidargemeinschaften. Aber das kann nicht die Regel sein.
Mit dem Direktor der ZWST und Vizepräsidenten des Zentralrats sprach Heide Sobotka.