Der Ort Peenemünde auf Usedom bietet sich auf eigenartige Weise für die Wanderausstellung der Stiftung Neue Synagoge Berlin »Zwischen Bleiben und Gehen. Juden in Ostdeutschland« an, mithilfe von zehn Biografien wird versucht, Brücken zu schlagen über die Zäsuren der Geschichte. In der ehemaligen Heeresversuchsanstalt waren die sogenannten Vergeltungswaffen entwickelt worden, bei der Produktion der V1 und V2 später im Konzentrationslager Mittelbau Dora kamen mehr Menschen ums Leben als durch den Raketenbeschuss auf London oder Antwerpen.
Das Historisch-Technische Museum in Peenemünde versteht sich als historisches Museum, in dem die Technik für gesellschaftliche Prozesse steht – auch bei der Raketentechnik war 1945 die Geschichte nicht zu Ende. Und auch die Ausstellung zu zehn jüdischen Schicksalen in Ostdeutschland schlägt eine Brücke über das Ende der Nazizeit 1945 hinaus.
Die zehn Stelen porträtieren knapp je eine Person. Und bei dem, was da anhand auch vieler kopierter Dokumente zu sehen ist, muss man schon wieder von »Schicksal« sprechen: Die Juden, die überlebt hatten oder zurückgekehrt waren, hatten keine Chance auf Wiedergutmachung. Darüber hinaus sahen sie sich mannigfachen Vorwürfen ausgesetzt, so der Chef des Historisch-Technischen Museums, Christian Mühldorfer-Vogt. Da ist die Rede von »jüdischen Nationalisten«, anderen wird vorgeworfen, Imperialisten zu sein. »Angesichts der damals herrschenden Dimitroff-Doktrin war das der implizite Vorwurf, Faschist zu sein. Das hat mich schon sehr getroffen«, sagt Mühldorfer-Vogt.
Aber auch der Kontakt zu Engländern vor dem Krieg konnte zum Spionagevorwurf führen und brachte eine jüdische Frau nach 1945 sofort in ein NKWD-Lager. Die Vorwürfe lauteten auf Fluchthilfe, Textilschieberei, Wirtschaftssabotage.
Fast alle Juden, die in der Ausstellung vorgestellt werden, waren als Verfolgte des Naziregimes anerkannt, viele sogar SED-Mitglieder geworden. Aber selbst ihr Engagement beim Wiederaufbau eher kleiner jüdischer Gemeinden wurde misstrauisch beäugt, sie galten als fünfte Kolonne des Westens.
Die Vorwürfe, die in kopierten Dokumenten nachzulesen sind, gleichen weitgehend denen, mit denen schon die Nazis die Juden versucht hatten zu brandmarken, so Mühldorfer-Vogt. »Einem ehemaligen Hotelbesitzer auf Rügen, der versuchte, sein arisiertes Eigentum zurückzubekommen, wird 1953 in einer Vernehmung vorgeworfen, ein raffgieriges kapitalistisches Element zu sein. Das klingt genauso wie vor 1945.«
Zwischen Bleiben und Gehen – Juden in Ostdeutschland 1945 bis 1956. Die Ausstellung ist bis zum 7. März im Kraftwerk Peenemünde zu sehen.