Interview

Fünf Minuten …

»Wir verlieren unverzichtbare Energie an der falschen Stelle«, Rabbiner Shlomo Afenasev Foto: Douglas Abuelo

Herr Afanasev, kurz nach Ihrer Ordination im September 2010 sind Sie Rabbiner der Jüdischen Gemeinde zu Potsdam geworden. Hatten Sie besondere Prämissen für Ihre Arbeit?
Fast alle Mitglieder kommen aus der früheren Sowjetunion und ihren Nachfolgestaaten, und viele sind nicht mehr jung. Älteren Leuten fällt es in der Regel schwerer, sich die jüdische Tradition anzueignen. Ich bemühe mich deshalb, die Erwartungen der Älteren zu treffen, ohne aber die Teenager aus den Augen zu verlieren. Im Sommer ist eine ganze Gruppe von jungen Leuten mit dem Taglit-Programm in Israel, und nach ihrer Rückkehr soll die Jugendarbeit ab September forciert werden. Dann haben die Jugendlichen den Kopf frei.

Ihre Gemeinde versteht sich als Einheitsgemeinde mit orthodoxer Ausrichtung. Wie gehen Sie mit Potsdamer Juden um, die sich eher als liberal oder als reformorientiert betrachten?
Ich habe kein Problem mit liberal orientierten Juden, die sich in unserer Gemeinde wohlfühlen. Das ist auch gar kein Kernproblem. Entscheidend ist, dass unsere Leute überhaupt zu jüdischer Tradition und den jüdischen Wurzeln zurückfinden. Vielfalt von Meinungen war in der Geschichte des jüdischen Volkes immer etwas Bereicherndes. Nur darf Vielfalt nicht zu Unversöhnlichkeiten und Spaltungen führen.

Genau damit kämpft die jüdische Gemeinschaft in Potsdam aber seit Jahren heftig.
Ja, und das ist ein ernst zu nehmendes Problem. In der Stadt leben nur etwas mehr als 1.000 Juden, aber mittlerweile versammeln sie sich unter drei verschiedenen Dächern. Wir verlieren wichtige, unverzichtbare Energie an der falschen Stelle.

Zum ersten Mal feiern Sie in diesen Tagen Pessach mit der Potsdamer Einheitsgemeinde. Wie liefen die Vorbereitungen ab?
Ich muss meiner Gemeinde ein riesiges Lob aussprechen, es gab viel Engagement und Mithilfe. Wir haben ja erst im Februar neue Räume in der Innenstadt bezogen. Nun haben die Mitglieder beim Kaschern geholfen, es wurde ein komplett neues Pessach-Geschirr besorgt. Wir haben die Pessach Sedorim in den Übergangsräumlichkeiten in der Alten Feuerwache gefeiert. Der Rahmen war schlicht, aber umso persönlicher.

Ihre Gemeinde hat wesentlichen Anteil am Projekt »Neue Synagoge Potsdam«. Nun verschiebt sich der Baubeginn für das Haus. Wo liegt das Problem, nachdem das Projekt eigentlich auf der Zielgeraden steht?
Ich sehe keinen Grund, das beschlossene Bauprojekt noch einmal grundsätzlich infrage zu stellen. Als Rabbiner in Potsdam werde ich im laufenden Baustreit aber nicht Partei ergreifen. Ich möchte allerdings klarstellen, dass weder die derzeitigen Baupläne noch die vorgeschlagenen Alternativen im Widerspruch zur Halacha stehen. Jeder Versuch, im laufenden Konflikt die gegnerische Position mit dem Verweis auf jüdisches Gesetz und jüdische Konventionen zu kritisieren, ist inkorrekt und vollkommen unangemessen.

Nach Pessach nimmt eine Schlichtungsrunde um den Synagogenbau ihre Arbeit auf. Was kann und was soll sie leisten?
Zunächst bin ich froh darüber, dass sich Stefan Kramer als Generalsekretär des Zentralrates in entscheidender Weise beteiligen will. Zudem ist es wichtig, einen erfahrenen Rabbiner, den Architekten Jost Haberland und möglicherweise weitere technische Experten in die Schlichtung einzubinden. Ich hoffe auf eine baldige Einigung und dann auf einen zügigen Baubeginn. Wir haben viele hoch betagte Menschen in unserer Gemeinde, die seit mehr als zehn Jahren auf ihre Synagoge warten und hoffen. Denen kann man schlecht noch weitere Wartejahre zumuten.

Mit dem Potsdamer Gemeinderabbiner sprach Olaf Glöckner.

Porträt der Woche

In der Rolle aufgehen

Nelly Pushkin hat Mathematik studiert – und ist Rebbetzin aus Leidenschaft

von Brigitte Jähnigen  30.03.2025

Buch

Die Zeit festhalten

Der Fotograf Stephan Pramme hat für die »Objekttage« des Jüdischen Museums Berlin Jüdinnen und Juden in Deutschland porträtiert. Sie zeigten ihm Erinnerungsstücke, die für ihre Familien- und Migrationsgeschichte stehen

von Katrin Richter  30.03.2025

Reportage

Rinderschulter und Pastrami

Im Berliner Westend eröffnen ungleiche Freunde die einzige koschere Fleischerei Deutschlands. Ein Besuch im Kälteschrank

von Mascha Malburg  30.03.2025

Todestag

Wenn Worte überleben - Vor 80 Jahren starb Anne Frank

Gesicht der Schoa, berühmteste Tagebuch-Schreiberin der Welt und zugleich eine Teenagerin mit alterstypischen Sorgen: Die Geschichte der Anne Frank geht noch heute Menschen weltweit unter die Haut

von Michael Grau, Michaela Hütig  27.03.2025

Bücher

Stöbern, ausleihen, lesen

In den Bibliotheken der jüdischen Gemeinden finden sich Romane, religiöse Literatur oder Geschichten für Kinder. Mitglieder und Besucher können sich in Ruhe auf die Suche nach ihrer Lieblingslektüre machen

von Christine Schmitt, Katrin Richter  27.03.2025

Berlin

Geschichte sichtbar machen

Eine neue Gedenktafel erinnert an das ehemalige Logenhaus von B’nai B’rith Berlin

von Christine Schmitt  27.03.2025

Berlin

Zwischen allen Welten

Die private Fotosammlung der Chemnitzer Erzieherin Käte Frank von 1928 – 1942 ist Zeugnis einer abenteuerlichen Flucht

von Sabine Schereck  26.03.2025

Konzert

Erlös für das Jugenddorf Hadassim

Die WIZO München widmete David Stopnitzer sel. A. einen bewegenden Abend mit Kantor Chaim Stern

von Luis Gruhler  25.03.2025

Bildung

Förderung für zehn Projekte zu NS-Verbrechen

Die geförderten Projekte verteilen sich auf mehrere Bundesländer

 25.03.2025