Am 31. März war Ihr letzter Arbeitstag in der »Alten Synagoge« Essen. Genießen Sie schon den Ruhestand?
Ich bin dauernd unterwegs. Ich wollte es nicht glauben, dass man als Rentner keine Zeit hat. Aber es ist wirklich so. Am Freitag und Montag war ich in Sachen Hannah Arendt in Köln, am Dienstag ist wieder etwas in Essen, Donnerstag, Freitag, Samstag ist eine Tagung in Münster in Erinnerung an den Alttestamentler Erich Zenger. Dann fliege ich zu Pessach nach Hause.
23 Jahre in der »Alten Synagoge« Essen ist eine lange Zeit. Würden Sie ihre Tätigkeit als Ihr Lebenswerk bezeichnen?
Das ist es wohl, denn seit 1993 habe ich für das neue Konzept gekämpft, das man sich seit Juli vergangenen Jahres in der »Alten Synagoge« anschauen kann. Mein Wunsch war, eine zweite Zeitachse zu der bisher einzigen des Erinnerns hinzuzufügen. An den Schnittstellen von dem rückwärtsgewandten Blick von Historikern und dem Ausblick nach vorne entsteht Gegenwart. Damit wird eine andere Möglichkeit der Begegnung geschaffen. Und das ist jetzt geschafft. Das Thema Gedenken ist damit nicht weg, nur es ist nicht mehr die einzige Zeitperspektive, die wir heute in der Ausstellung zeigen und im Programm anbieten.
Sie haben die »Alte Synagoge« von einer Gedenkstätte zu einer Begegnungsstätte gemacht. Honorieren das die Menschen?
Ja, bei den Besuchern ist das Konzept angekommen. Zwischen dem 13. Juli und 19. Dezember 2010 hatten wir 37.700 Besucher und der Trend setzt sich fort. In früheren Jahren kamen, wenn es gut lief, mit den schulischen Programmen zusammengerechnet im Schnitt rund 36.000 Besucher im ganzen Jahr. Am Ende von Führungen, die ich seit der Eröffnung gemacht habe, bedankten sich sehr viele mit dem Hinweis: »Das war ja eine Befreiung«.
Eine Befreiung wovon?
Nicht stramm zu stehen und flüsternd herumzugehen wegen der lang eingeübten Haltung in Gedenkstätten. Man kann doch mal lachen. Im Ausstellungsbereich »Jüdischer Way of Life« schaute sich eine ältere Jüdin aus New York um und sagte: »Das ist ja toll, so etwas gibt es nicht einmal bei uns in New York.« Ein solches Echo zeigt, dass die Menschen die Botschaft verstanden haben. Selbstverständlich sind die Gedenkbücher, die Listen der Ermordeten und Geschichten der Überlebenden Teil der Ausstellung geblieben.
Wie kam es, dass Sie Leiterin der »Alten Synagoge« wurden?
Das weiß ich gar nicht mehr so genau. Der damalige Kulturdezernent Wilhelm Godde, (1977 bis 1988) hat mich angeworben, obwohl er zunächst eigentlich einen Historiker suchte. Ich bin keine Historikerin und da ich zu jener Zeit Freelancerin war, mit mehreren Standbeinen, wurde nichts daraus. Als die Leiterin 1987 kündigte, folgte ein neuer Anruf. Da mir eingeräumt wurde, den Religionsunterricht in der jüdischen Gemeinde in Krefeld fortsetzen zu dürfen und ein Computer für das Archiv ebenfalls genehmigt wurde, sagte ich zu.
Was werden Sie weiter im Ruhestand machen, schreiben?
Ich habe ziemlich viel »Textbausteine« im Computer gespeichert. Ich würde sie gern zusammentragen, sowohl im theologischen als auch im politischen Bereich. Zudem möchte ich meine Wohnung in Ramat Ha-Sharon (bei Tel Aviv) einrichten und – wie bisher – zwischen zwei Welten weiterleben. Ein Laptop wird dann mein ständiger Begleiter sein – hier wie dort. Ich habe noch viel vor, aber vielleicht sind ja auch die Augen größer als der Mund.
Mit der scheidenden Leiterin der »Alten Synagoge« Essen sprach Heide Sobotka.