Herr Russ, am Sonntag wird die neu gebaute Synagoge in Dessau eröffnet. Es ist der erste Neubau eines jüdischen Gotteshauses in Sachsen-Anhalt seit dem Zweiten Weltkrieg.
Die Freude ist ungebrochen. Egal, was kommen mag, wir werden die Feier nicht absagen, sondern ein Zeichen setzen. Die Gefährdungsstufe hat sich durch den Krieg in Israel erhöht. Das ist leider so.
Würden Sie sagen, dass der Bau endlich oder schon fertig ist?
Ich bin in dieser Frage geteilt. Zum einen »endlich«, weil wir den
Bau von Beginn an seit knapp drei Jahren begleiten und lange
auf seine Fertigstellung hingefiebert haben. Zum anderen aber auch
»schon«, da wir diesen Ort ab jetzt mit Leben füllen können.
Es zog sich etwas hin …
Ja, etwa vier Jahre ab der Grundsteinlegung im November 2019. Im vergangenen Jahr musste die Jüdische Gemeinde zu Dessau im Zuge der Sanierung des Gemeindehauses mit einem Ausweichquartier vorliebnehmen, bei größeren Feierlichkeiten sogar in andere Objekte ausweichen. Die Finanzierung des Synagogenbaus war zuletzt aufgrund massiver Preissteigerungen in der Baubranche infolge der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges nicht mehr gesichert.
Wer hat den Synagogenbau finanziell unterstützt?
Wir hatten eine Mischfinanzierung. Zum einen beteiligte sich der Bund, vertreten durch das Bundesinnenministerium. Vor Kurzem hat der Bund die Gelder aufgestockt. Dann das Land Sachsen-Anhalt, die Stadt Dessau, die auch noch mal mehr Mittel bereitgestellt hat. Die Reemtsma-Stiftung beteiligte sich, ebenso die Lottostiftung. Die Gemeinde hat rund 200.000 an Eigenmitteln dazugegeben.
Wie haben Sie es geschafft, diese Summe zu finanzieren?
Das war unser langjährig Erspartes. Also im Prinzip alles, was die Gemeinde an Rücklagen hatte, ist in den Bau geflossen.
Kann die Gemeinde schnell wieder einen finanziellen Sockel aufbauen?
Das wird ein wenig dauern. Die Synagoge wird ja auch einiges an Folgekosten haben.
Wie groß ist sie?
Jetzt bietet die Synagoge rund 90 Plätze für rund 260 Gemeindemitglieder in einer würdevollen Umgebung, um dort Gottesdienste und Feiern abhalten zu können. Und das ist eine Riesenveränderung für die Gemeinde. Das ist eine riesige Aufwertung auch des religiösen.
Was soll in der neuen Synagoge alles neben den Gottesdiensten stattfinden?
Neben dem eigentlichen Rundbau, der der Torarolle nachempfunden ist, gibt es auch ein Foyer, was für jedwede Art von Zusammenkunft, Veranstaltungen, Konzerten, Lesungen vorgesehen ist. Wir haben jetzt sofort nach der Eröffnung die jüdischen Kulturtage in Sachsen-Anhalt und da werden auch diverse Veranstaltungen stattfinden. Natürlich sind Besuche von Schulklassen und anderen Gruppen geplant. Ich habe jetzt schon - vor der Eröffnung - in den vergangenen Wochen sehr viele Gruppen hier begrüßt. Das Bundesamt war da, das Stadtmarketing kam und die Kirchenvertreter ebenfalls. Wir haben sozusagen ein wirklich enormes Interesse. Und all das soll auch in dem gesamten Synagogengebäude und auch in unserem Gemeindegebäude natürlich stattfinden. Wir haben jetzt die Möglichkeiten, noch viel mehr stattfinden zu lassen, als wir das bis dato konnten.
Auch das Gemeindehaus wurde saniert.
Der Synagogenbau und die Sanierung des angebundenen »Kantorhauses«, also des Gemeindezentrums, sind separate Vorgänge. Beide werden von der Reemtsma-Stiftung gefördert, letzteres alleinig durch diese. Die Sanierung des Gemeindezentrums begann vor einem guten Jahr und zwang unsere Gemeinde in ein Ausweichquartier.
Ist die Gemeinde gewachsen?
Na ja, durch die jüdischen Geflüchteten aus der Ukraine, die wir im vergangenen Jahr aufgenommen haben, ist sie zumindest nicht wesentlich geschrumpft.
Der Tag der offenen Tür soll eine Woche nach der Einweihung stattfinden.
Nun ist es so, dass wir natürlich schauen müssen, wie sich die Situation entwickelt. Es ist uns ein Anliegen, unsere Tür zu öffnen. Wir rechnen auch mit hunderten Besuchern. Und da müssen wir sehen, ob wir das aus sicherheitstechnischen Gründen verlegen müssen. Da kommen ja Menschen, deren Identität wir nicht kennen. Aber derzeit gehen wir davon aus, dass es stattfinden wird. Aber es gibt halt immer noch sozusagen ein paar letzte Fragezeichen, wie sich die Situation entwickelt.
Wie wird die Synagoge heißen?
Sie soll an die jüdische Familie des Komponisten Kurt Weill (1900 - 1950) erinnern und deshalb den Namen »Weill« tragen. Kurt Weills Vater war Kantor der Jüdischen Gemeinde zu Dessau.
Mit dem Geschäftsführer der Jüdischen Gemeinde zu Dessau sprach Christine Schmitt.