Es ist ein offenes Geheimnis, dass Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG), ein Faible für das Filmgenre hat. So regte sie, als das Jüdische Zentrum am Jakobsplatz noch im Entstehen war, die Schaffung eines alljährlichen jüdischen Filmfestivals an, das jüdisches Leben »im Spannungsfeld historischer Erfahrung, einer langen Tradition von Gedenkkultur und kultureller Vielfalt« abbilden sollte. Das Medium Film lasse in fremde Welten eintauchen, ins Weltall reisen oder zum Mittelpunkt der Erde. Auch das Judentum lasse sich in Filmen immer wieder neu entdecken.
»Auf der einen Seite erfährt das Publikum Neues und Unbekanntes über die lebendige jüdische Kultur und Lebensweise in den gegenwärtigen Ausprägungen«, formulierte die filmaffine IKG-Präsidentin schon vor Jahren, »auf der anderen Seite wird ein für immer verloren geglaubtes Judentum für einige Momente wiederbelebt«. Dieses Resümee spiegelt wider, was auch 2023 die 14. Jüdischen Filmtage auszeichnen wird: Vielfalt, Erinnerung, Unterhaltung, Information. Und dies in allen Genres, die es gibt – von Animation über Dokumentation, Mystery-Thriller bis Historienfilm. Jüdisches Leben wird über das Jahr 2023 verteilt nicht allein über das Medium Film thematisiert, sondern auch über das geschriebene Wort.
dokumentarfilm Es gibt Schriftsteller, die Drehbücher verfassen und Filme machen, wie Michel Bergmann, der bei den 6. Jüdischen Filmtagen 2015 den 1997 gemeinsam mit seiner Frau Anke Apelt geschaffenen Dokumentarfilm Granach der Jüngere über den Lebenskünstler Gad Granach, Sohn des Charakterdarstellers Alexander Granach, vorstellte. Er kommt im Sommer mit seinem neuen Buch Mameleben, das – wie seine Trilogie über die »Teilacher« – eine Verfilmung verdient, in die IKG. Es gibt aber auch Schauspieler, die erzählen und schreiben können, wie die international renommierten Filmstars Christian Berkel (Inglourious Basterds, Der Kriminalist, Schächten) und Samuel Finzi (Kokowääh I und II, Seneca).
Berkel, der in der 2018 präsentierten Dokumentation Guardians of Heritage – Hüter der Geschichte den Spuren seiner Vorfahren in Lodz nachging und im selben Jahr Der Apfelbaum, die Geschichte seiner Familie in Romanform, präsentierte, kommt zur Eröffnung der Marcel-Marceau-Ausstellung und wird erzählen, wie er in seiner Pariser Schulzeit vom Theater und insbesondere dem Großmeister der Pantomime geprägt wurde.
Am 100. Geburtstag von Marceau, dem 22. März, wird der Spielfilm Résistance über die Jahre der Verfolgung und des Widerstands von Marcel Marceau während der deutschen Okkupation gezeigt. Ende April wird Samuel Finzi, der in der Neuverfilmung der Schachnovelle nach Stefan Zweig mitwirkte, die 2021 vom IKG-Kulturzentrum im City Kino präsentiert wurde, mit seinem autobiografischen Roman Samuels Buch im Jüdischen Gemeindezentrum erwartet.
Das Festival widmet sich traditionell jüdischem Leben in seiner ganzen Vielfalt.
Doch schon vorher gibt es Eindrucksvolles zu sehen – wie beispielsweise die Dokumentation Fritz Bauers Erbe – Gerechtigkeit verjährt nicht von Sabine Lamby, Cornelia Partmann und Isabel Gathof, die lediglich in kleineren Kinos in München läuft. Verdient hätte sie es, im Großraumkino als Anschauungsunterricht für Schülerinnen und Schüler über den Umgang mit noch lebenden NS-Tätern und -Täterinnen gezeigt zu werden. Möglicherweise springt man eher an auf den Animationsfilm Wo ist Anne Frank des Israelis Ari Folman, dazu inspiriert von Yves Kugelmann, Stiftungsratsmitglied des Anne Frank Fonds in Basel.
präsentation Henriette Kaiser, die Germanistik in Berlin und Regie an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studierte, gewann auf Reisen nach Argentinien das Vertrauen von deutsch-jüdischen Flüchtlingen, die als Kinder mit ihren Eltern aus Deutschland geflohen waren und deutsche Kultur sozusagen mit »Goethe in Buenos Aires« pflegen. Ihr Buch mit dem gleichnamigen Titel ist bereits erschienen. Die Autorin bringt zur Präsentation Ausschnitte aus ihren Filminterviews mit.
Wie aus Helmut Flieg aus Chemnitz der Emigrant Stefan Heym wurde, erfuhren die Freunde des IKG-Kulturzentrums 1988, als Heym mit seinen Memoiren Nachruf zu Gast in München war. Nun ist es Zeit, den Dokumentarfilm Abschied und Ankunft von Beate Kunath zu zeigen. Der Film basiert auf der Übertragung seiner Arbeitsbibliothek an seine Geburtsstadt und lässt Heyms Leben noch einmal Revue passieren.
Ganz andere Welten wird der Spielfilm The Vigil – Die Totenwache sichtbar machen. Darin geht es um jüdische Trauerriten, Vorstellungen davon, was mit einer ruhelosen Seele geschieht, und um die Auseinandersetzung der jüngeren Generation mit den chassidischen Lebensvorstellungen ihrer Familien. Über die Dreharbeiten wird die gebürtige Züricherin und Mitwirkende Lea Kalisch berichten.
Und weil es für die Kulturarbeit ein Jubiläumsjahr, und zwar das 40., ist, geht es mit dem Thema Film, einem Lieblingsschwerpunkt nicht nur von IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch, sondern auch von Ellen Presser, Leiterin der Kulturabteilung, im Sommer und Herbst mit zahlreichen Überraschungen für das Publikum weiter.