Eigentlich, so stellte die israelische Germanistin Shira Miron gleich zu Beginn fest, passe sie gar nicht in die Runde von Gästen, die am vergangenen Sonntag im Jüdischen Museum zur Podiumsdiskussion »Die deutsch-jüdische Diaspora: Exil, neue Heimat, oder was?« zusammenkam. Denn sie selbst habe keine deutschen Vorfahren und komme aus einer sefardischen Familie in Jerusalem. Aber sie fühle sich in der deutschen Sprache durchaus zu Hause. Eine sprachliche Heimat.
Gemeinsam mit Miriam Rürup, der Direktorin des Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, sprach Miron an diesem Abend über die aktuelle Lage in den unterschiedlichen Diasporen. Zwei weitere Panelteilnehmer, der Historiker Michael Meyer und die Historikerin Atina Grossmann rückten vor allem Erinnerungen und Anekdoten über das erzwungene Exil von ihren Familien in den USA in den Mittelpunkt ihrer Diskussionen. Vier Teilnehmer, vier Generationen, vier Perspektiven.
Heimat Nach einführenden Reden von Hetty Berg, der Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, Juliane Seifert, Staatssekretärin im Bundesministerium des Innern und für Heimat, sowie Michael Brenner, Historiker und Internationaler Präsident des Leo Baeck Instituts, ging es um die Fragen nach dem Woher, nach dem Wohin, und – der Themensetzung des Abends entsprechend – zur kontrovers diskutierten Frage: Was ist Heimat? Und: Kann es eine solche nach den Erfahrungen des erzwungenen Exils oder des freiwilligen, auch nur temporären im Fall von Shira Miron überhaupt noch geben? Und haben die oft zahlreichen Transitstationen die Exilanten in den 30er- und 40er-Jahren verändert?
Atina Grossmann ging auf die Unterschiede zwischen Stationen in Iran, Indien und später dann, angekommen, in den USA ein. Sie stellte fest, dass im Fall ihrer Familie der Umweg über den Iran zu einer in sich geschlossenen Gruppe in den USA geführt habe. Je nachdem, woher man aus dem Transit kam, blieb man eher unter sich.
Miriam Rürup machte darauf aufmerksam, dass man das Thema der Diaspora von den deutschen Juden in den USA während des Zweiten Weltkriegs zur gegenwärtigen Diaspora bringen müsse, wie beispielsweise zu den häufig aus der Kunstszene stammenden Israelis in Berlin, die doch einen ganz eigenen Einschlag hätte. Hier, und nicht nur in Berlin, würde man sich mit rechtlichem wie auch moralischem Anspruch das zurückholen, was den Eltern und Großeltern dereinst genommen wurde: die Staatsbürgerschaft. Diese sei nicht unbedingt mit der Kenntnis der jeweiligen Sprache verbunden, sondern eher mit dem Wunsch und Drang nach Sicherheit.
Die Moderatorin Shelly Kupferberg fragte, was einem Flüchtling vom Flüchtlingsdasein bliebe.
Michael Meyer und Atina Grossmann waren sich einig, dass es diese Sicherheit nie wieder geben könne. Eine Einsicht, die wiederum in dem Streben junger Israelis ihren Ausdruck finde, die sich um einen Pass in einem der EU-Staaten bewerben und ihn häufig aufgrund ihrer Herkunft auch erhalten.
Arabisch Shira Miron wiederum brachte den wichtigen Punkt zur Sprache, dass die Hebraisierung in dem noch jungen Staat Israel dazu führte, dass die Sprache zwischen den Generationen verloren ging. Als Enkelin könne sie sich nicht mit ihren Großeltern in deren Muttersprache, in diesem Falle Arabisch, unterhalten. Sie wies darauf hin, dass das Erlernen einer Sprache immer auch einen Brückenbau zur jeweiligen Kultur mit sich bringe. Und was für die Sprache gelte, gelte natürlich auch für die Musik, wie die ausgebildete Pianistin hinzufügte.
Rürup betone wiederum, dass die Bereitschaft junger Israelis, in Deutschland zu leben, ungebrochen sei. Ein Grund hierfür könne sein, dass sie sich in Berlin mit Palästinensern ganz anders austauschen könnten, etwa in künstlerischen Foren, sei es auf dem Gebiet der Poesie oder der Musik.
Eine weitere, von Miriam Rürup aufgebrachte Frage lautete, inwieweit die Erfahrungen der deutsch-jüdischen Flüchtlinge und Emigranten die Erinnerungskultur in Deutschland geprägt hätten. Eine Frage, die im Zuge der noch recht jungen Debatte der kolonialen Bewältigung in Deutschland an Brisanz kaum zu übertreffen sein dürfte.
Religion habe in der Familie von Michael Meyer zum Brückenbau geführt.
Bei aller Säkularität der Diskussionsteilnehmer erwähnte Michael Meyer, dass die Religion auch in seiner Familie zum Brückenbau in der neuen Heimat, den USA, geführt habe. Auf diesem Wege erweiterte die oft durch und durch deutsche Diaspora ihre Umgebung auf die längst in den USA verwurzelten Juden.
Auf die Frage der Moderatorin Shelly Kupferberg, was einem Flüchtling vom Flüchtlingsdasein bliebe, antwortete Atina Grossmann mit dem schönen Ausspruch: »Nur am Broadway will ich leben, nur am Broadway bin ich glücklich«. Das sei, bemerkte sie am Rande, »altes deutsches Liedgut«, wurde es doch oft in ihrer jüdischen New Yorker Umgebung gesungen.