Offenbach

Forum für Fragen

Die Stadtwerke unterstützen die Dienemann-Formstecher-Gesellschaft

von Christine Schmitt  04.08.2024 19:56 Uhr

Anton Jakob Weinberger, Vorsitzender der Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft Foto: TR

Die Stadtwerke unterstützen die Dienemann-Formstecher-Gesellschaft

von Christine Schmitt  04.08.2024 19:56 Uhr

Als Anton Jakob Weinberger erfuhr, dass die von ihm initiierte Gesellschaft für die nächsten Jahre mit einer Spende von mehreren Tausend Euro von den Stadtwerken Offenbach unterstützt wird, war der Vorsitzende erst einmal überrascht. Oder »verdutzt, wie wir im Hessischen sagen«, ergänzt Weinberger mit einem Schmunzeln. In Zukunft wird die Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft jährlich 5000 Euro mehr in ihrer Kasse haben.

»Aber um das Geld geht es in erster Linie gar nicht, sondern um die Anerkennung und Würdigung unserer Arbeit«, so der Vorsitzende der Gesellschaft. Es sei eine eindeutige Botschaft. Denn: »Es ist ebenfalls eine Solidaritätsbekundung nach dem 7. Oktober 2023.« Auch in Offenbach gebe es Antisemitismus und propalästinensische Aktionen.

»Gerade in Zeiten, in denen sich der Antisemitismus auszubreiten droht, ist es für uns als Stadt nicht nur ein Herzensanliegen, sondern auch eine wichtige Aufgabe, die Gesellschaft und ihr Veranstaltungsprogramm zur Vielfalt jüdischen Lebens und Denkens zu unterstützen«, sagt Oberbürgermeister Felix Schwenke bei der Vertragsunterzeichnung. Das Engagement der Gesellschaft trage zur interreligiösen wie kulturellen Verständigung und damit zum Zusammenhalt in Offenbach bei.

Weitblick und Kreativität

»Wir verstehen uns als starkes, partnerschaftliches und engagiertes Team, das mit Weitblick und Kreativität das vielfältige Offenbacher Stadtleben verlässlich und verantwortungsvoll gestaltet«, heißt es auf der Homepage der Stadtwerke.

»Das Judentum gehört zu unserer Stadt – und durch unser Capitol Theater, ein städtisches Veranstaltungshaus in der ehemaligen Synagoge, haben wir einen klaren Bezug dazu«, ergänzt Stadtwerke-Geschäftsführer Peter Walther. Im Kulturdenkmal an der Goethestraße gibt es einen Dr.-Max-Dienemann-Saal: Dort hielt der Gemeinderabbiner (1875–1939) am 24. Dezember 1938, kurz nach der Schändung der Synagoge, seine letzte Predigt. Kurz darauf zwang die Gestapo den international renommierten Vordenker des liberalen Judentums, Deutschland zu verlassen. Über Offenbach hinaus bekannt und anerkannt war auch Rabbiner Salomon Formstecher (1808–1889): Der Religionsphilosoph gilt als einer der geistigen Väter des Reformjudentums im Deutschland des 19. Jahrhunderts.

»Die Unterstützung der Stadtwerke bedeutet für uns, ideell wie materiell, eine Stärkung unserer Grundidee«, betont Weinberger. Ein Forum für Fragen des zeitgenössischen Judentums – in Offenbach und weit darüber hinaus – zu bieten, sei heutzutage besonders wichtig. Bis Mitte 2027 wird die Gesellschaft finanziell unterstützt werden. Bisher hätten die Stadtwerke Offenbach bereits einzelne Veranstaltungen der Gesellschaft gefördert.

Als »guten Erfolg und gelungenen Einstieg in die Sponsorenschaft« organisierte die Gesellschaft auch mit Mitteln der Stadtwerke beispielsweise im Juni das Erzählkonzert »Summertime – eine Hommage an George Gershwin« im Dr.-Max-Dienemann-Saal des Capitol Theaters.

Die Gesellschaft versteht sich als ein »Forum für zeitgenössisches Judentum«: Sie organisiert Vorträge, Podiumsdiskussionen, Gesprächsabende, historische Rundgänge und Exkursionen, Lesungen und Konzerte, die ein »authentisches Bild jüdischen Lebens« vermitteln. Die Max Diene­mann/Salomon Formstecher Gesellschaft wurde 1995 als wissenschaftlich-kulturelle Vereinigung von 16 Juden und Nichtjuden gegründet und hat aktuell mehr als 40 Mitglieder.

Die Gesellschaft versteht sich als Forum für zeitgenössisches Judentum.

Bereits 2008 veröffentlichte sie einen Stadtplan zu elf historischen »Orten der Erinnerung«, wozu seit 2012 auch die von ihr initiierte »Stele der Erinnerung« in der Hintergasse zählt: An der freigelegten restaurierten Ostwand der früheren Synagoge weist sie auf die Anfänge jüdischen Lebens in Offenbach hin.

In der Veranstaltungsreihe »Offenbacher Lesungen/Literatur im O-Ton« lädt die Gesellschaft zudem jedes Jahr Interpreten ein, die die Werke herausragender jüdischer Autoren vorstellen.

Zu den prominentesten Gästen seit der Vereinsgründung 1995 gehörten der Autor und Literaturkritiker Marcel Reich-Ranic­ki und der frühere Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. 2018 erhielt der Verein den Offenbacher Kulturpreis.

Im kommenden Jahr feiert die Gesellschaft ihr 30-jäh­ri­ges Bestehen

Im kommenden Jahr feiert die Dienemann-Formstecher-Gesellschaft ihr 30-jäh­ri­ges Bestehen. »Eigentlich ist es ein Tripel-Jubiläum, denn 2025 jährt sich der Geburtstag Rabbiner Dienemanns zum 150. Mal, und die Ordinierung von Regina Jonas fand 1935 statt«, sagt Weinberger. Regina Jonas war die erste Rabbinerin in der Geschichte des Judentums überhaupt. Sie wurde am 27. Dezember 1935 von Rabbiner Die­nemann in Offenbach ordiniert. Zur Feier plant die Gesellschaft ein Jubiläumskonzert.

Jüdischsein als ein geistiges Phänomen zu begreifen, sei auch heute noch sein Leitgedanke, meint der Vorsitzende. Das habe ihn schon 1995 dazu motiviert, die Max Dienemann/Salomon Formstecher Gesellschaft zu gründen. Der Journalist möchte einen Beitrag zur Rekonstruktion dessen leisten, was einmal deutsches Judentum war.

Bei der Gründung kamen Juden und Nichtjuden zusammen, um sich der Geschichte des deutschen Judentums zu widmen und sich des aktuellen jüdischen Lebens in Deutschland anzunehmen. »Wir haben mehrere Schwerpunkte. Wir verstehen uns als ein Forum für das zeitgenössische Judentum und bieten immer wieder Diskussionsveranstaltungen und Vorträge zu historischen Themen des deutschen Judentums oder zu aktuellen Fragen jüdischen Lebens in Deutschland und im deutschsprachigen Raum an.«

Diskussionen zu kontroversen Positionen

Darüber hinaus werden auch Diskussionen zu kontroversen Positionen veranstaltet. An eine erinnert sich Weinberger noch heute, obwohl sie schon lange zurückliegt, und zwar an eine Podiumsdiskussion mit dem damaligen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis, dem Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik, dem Historiker Julius H. Schoeps und dem liberalen Rabbiner Tovia Ben-Chorin zu der Frage: »Die Koffer sind ausgepackt – Bildet sich ein neues deutsches Judentum?«.

Der andere Schwerpunkt der Gesellschaft sind die »Ortserkundungen«, bei denen versucht wird, sogenannte Merkzeichen im Stadtbild Offenbachs zu setzen, die auf die jüdische Geschichte, ihre Hochzeit, aber auch die Zerstörung jüdischen Lebens in dieser Stadt hinweisen.

Da gebe es beispielsweise die Rabbiner-Wege im Büsing-Park – der zentrale Innenstadtpark in Offenbach –, benannt nach den Rabbinern Salomon Formstecher und Max Dienemann und der Rabbinerin Regina Jonas. Das sei ein bundesweit einzigartiges Ensemble, das auf die Höhepunkte deutsch-jüdischer Geschichte verweist, so Weinberger.

»Es geht uns um das Erinnern ebenso wie ums gemeinsame Gestalten«, so der Vorsitzende. Am 27. Oktober wird der Schauspieler Max Simonischek die »Offenbacher Lesungen« in der Alten Schlosserei gestalten und Texte aus dem Werk des Schriftstellers und Philosophen Manès Sperber vortragen.

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