Bad Sobernheim

Fortbildung für Vorbeter

Von Rabbinern lernen: Das viertägige Seminar fand in Bad Sobernheim statt. Foto: ITJL

Von der Geburt bis zum Tod – der jüdische Kreis des Lebens ist Thema des viertägigen Seminars für jüdische Vorbeter Anfang November im rheinland-pfälzischen Bad Sobernheim. Zu den rund 20 Teilnehmern gehört Illya Mizhys aus Chemnitz. Als Dreijähriger kam er vor gut 20 Jahren aus Kiew nach Sachsen. Das Max-Willner-Heim lernte er bereits als Jugendlicher bei einem Machane kennen, einem Ferienlager. Ein Vorbeterseminar besucht er zum ersten Mal. Sein bisheriges Wissen erwarb er bei Online-Seminaren des Instituts für Traditionelle Jüdische Liturgie (ITJL), vor allem aber mithilfe von Rabbiner Zsolt Balla aus Leipzig.

Längst betet der 31-Jährige zu Kabbalat Schabbat am Freitagabend vor, hat doch die Chemnitzer Gemeinde seit drei Jahren keinen eigenen Rabbiner mehr.
»Ich bin mit der Absicht in Bad Sobernheim, meine Qualifikation als Vorbeter aufzubessern; einfach das Angebot und die Kenntnisse, die ich meiner Gemeinde bieten kann, zu vertiefen«, so Mizhys.

Auch Beerdigungen gehören zu den Aufgaben des Chemnitzer Studenten, die er sich mit einem zweiten jungen Vorbeter teilt. Beide sind Kinder von Zuwanderern. »Ich fahre guter Dinge wieder nach Hause, bin nochmal durch die Liturgie von Kabbalat Schabbat und des Ma’ariv-Gebets gegangen, zusammen mit Rav Fabian«, erzählt Mizhys. »Wir haben auch sehr aktuelle Themen besprochen, zum Beispiel Erinnerungsgebete für die Gedenkveranstaltungen am 9. November.«

RABBINERSEMINAR Rabbiner Daniel Fabian, Ko-Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Kahal Adass Jisroel Berlin, leitet das Vorbeterseminar zusammen mit Rabbiner Zsolt Balla. Die beiden gehören zu den ersten Absolventen des 2009 wiedergegründeten Berliner Rabbinerseminars. Öffentlich bekannt geworden ist das Duo durch Konzerte, etwa mit Liedern und Geschichten zu den jüdischen Feiertagen.

Trotz zahlreicher anderer Verpflichtungen liegt den beiden die Fortbildung von Gemeindemitgliedern am Herzen. Es gehe darum, die Gemeinden zu stärken, sagt Zsolt Balla. Als Landesrabbiner kümmert er sich um die jüdischen Gemeinden in Dresden, Leipzig, Chemnitz und auch in Görlitz. Seit einigen Monaten leitet der gebürtige Ungar auch das Militärrabbinat der Bundeswehr in Berlin.

Daniel Fabian unterrichtet bereits seit vielen Jahren Jugendliche und Erwachsene. 2018 wurde der in Israel geborene Biologe Executive Director der Lauder Yeshurun. Derzeit promoviert er an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema Jüdisches Recht.

SCHABBAT-HYMNE Hier in Bad Sobernheim greift er, wie Zsolt Balla, auch zur Gitarre, um den Kursteilnehmern gebräuchliche Melodien von Gebetstexten vorzuspielen, wie die traditionelle Schabbat-Hymne Lecha Dodi von Schlomo Alkabetz aus Sefad. »Wir kennen ja auch die Situation in deutschen Gemeinden, wir wissen, was wichtig ist, was weniger wichtig ist, worauf es ankommt, darauf fokussieren wir uns auch im Unterricht«, so Fabian. Es sei eine schöne Sache, wenn die gleichen Melodien benutzt würden, das schaffe Einheit und sei identitätsstiftend.

»Judentum ist eine Religion des Lebens«, sagt Daniel Fabian.

Hauptthema des Seminars könnte durchaus das Lebensende sein, mit all den Zeremonien in der Trauerhalle, auf dem Friedhof oder im Trauerhaus. Wegen des fortgeschrittenen Alters vieler Gemeindemitglieder kommen Beisetzungen wahrscheinlich häufiger vor als Hochzeiten oder Geburten. Etliche Vorbeter führen in ihren Gemeinden tatsächlich auch die Lewajot durch, sollten also genau wissen, wie sie mit den Angehörigen umgehen, wie man eine Trauerrede, eine Hesped, hält oder wann welche Psalmen rezitiert werden.

LEBENSKREIS Doch Schwerpunkt des Seminars sollten vor allem die freudigen Ereignisse im Lebenskreis sein, erklärt Rabbiner Fabian, der Vater von fünf Kindern ist. »Judentums ist eine Religion des Lebens, und deshalb wollten wir uns auch auf die unterschiedlichen Stationen in einem Leben als Jude fokussieren, angefangen von der Geburt, Beschneidung, Brit Mila, Barmizwa, Batmizwa, über die Hochzeit, bis hin am Ende dann auch zu allen Riten, die mit Beerdigungen zu tun haben.«

Die Teilnehmer des Vorbeterseminars sollten nicht nur lernen, wie und mit welchen Melodien man die Gebete sagt und welche Halachot zu beachten sind. Besonders wichtig sei eben auch, sich gegenseitig kennenzulernen, weiß Koordinatorin Anastasia Quensel vom Kinder-, Jugend- und Familienreferat der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST). Sie hat das Seminar zusammen mit dem ITJL in Leipzig organisiert.

»Für uns hat das vollkommen Sinn gemacht, zu kooperieren, dass man das Seminar hierher nach Bad Sobernheim holt«, so Quensel. Leipzig habe das Know-how, und in Bad Sobernheim hätten sie die Infrastruktur. »Das kann man wunderbar verbinden. Die jüdische Welt ist so klein, da kann man sich auch zusammentun, das ist eine so schöne Zusammenarbeit.« Die Atmosphäre sei immer super.

Das Niveau der Teilnehmer ist sehr unterschiedlich.

Schon seit vielen Jahren bietet die ZWST Seminare für Vorbeter an, mit verschiedenen Rabbinern aus der ganzen Welt. Auch das Leipziger Institut bildet Vorbeter und Kantoren aus. Eine Kooperation lag also nahe, sagt Velida Henn vom ITJL.

Wegen der Corona-Pandemie hätten die von Chasan Joseph Malovany aus New York geleiteten Seminare des Instituts in letzter Zeit vor allem online stattgefunden. Dieses Angebot bestehe auch weiter, »aber ich glaube, gerade Schabbat miteinander zu verbringen, das geht natürlich online nicht, das macht den Riesenunterschied«, so Henn. Und sie fügt an: »Ich glaube, das gibt dem nochmal Kraft.«

LITURGIEN Das Niveau der Teilnehmer ist sehr unterschiedlich. Manche haben erst begonnen, die Liturgien zu lernen, andere wie Jan Nagler aus Duisburg beten bereits seit mehreren Jahren vor. Seit 20 Jahren sei er auch in der Chewra Kadischa aktiv, erzählt der Musiklehrer.

Nach langer Vorbereitung trage er in Vertretung des Rabbiners am Schabbatmorgen auch den Wochenabschnitt aus der Tora vor. »Klar, wir müssen immer weiter lernen und dann auch auf dem Laufenden sein. Wir waren ja jetzt fast zwei Jahre nicht zusammen, und davor hatten wir jedes halbe Jahr so ein Seminar in der Größe«, so Nagler. Die meisten würden sich auch über Online-Seminare fortbilden, »ich mache das in der letzten Zeit selten, weil ich in dieser Zeit arbeite«.

Jan Nagler, Illya Mizhys und die anderen Teilnehmer freuen sich bereits auf das nächste Vorbeterseminar in Bad Sobernheim, das für Ende Januar geplant ist. Ob es wegen der Corona-Pandemie tatsächlich stattfinden kann, ist derzeit allerdings offen.

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