Der Streit um das Seminar »Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina« an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim (HAWK) ist in der vergangenen Woche Gegenstand einer öffentlichen Diskussion gewesen. Mehr als 250 Zuhörer im völlig überfüllten Sitzungssaal der Üstra-Remise in Hannover verfolgten die Debatte, die von der Dozentin Rebecca Seidler initiiert worden war. Im Publikum saßen neben vielen Hannoveranern, Mitgliedern der liberalen Gemeinde und auswärtigen Gästen auch zahlreiche Studenten aus Hildesheim, mehrere Landtagsabgeordnete und der Publizist Henryk M. Broder.
Im Mittelpunkt des Podiums stand HAWK-Präsidentin Christiane Dienel. Sie versuchte, das Seminar, in dem vielfältiges antiisraelisches Propagandamaterial zu Unterrichtszwecken verbreitet worden war, vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz zu nehmen. Dass das Seminar grundlegende Qualitätsmängel aufwies, räumte sie gleichwohl ein.
existenzrecht Israelbezogener Antisemitismus liegt immer dann vor, wenn das Existenzrecht Israels infrage gestellt und das Land durch Gerüchte dämonisiert wird sowie nachweisliche oder vermeintliche Verbrechen Israels stärker verurteilt werden als die der Hamas oder Fatah. Mehrere Wissenschaftler konnten belegen, was vorab schon ein Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung aufgezeigt hatte: Die im Rahmen des Seminars verbreiteten und erschreckend unwissenschaftlichen Unterlagen erfüllen alle diese Kriterien.
Hochschulpräsidentin Christiane Dienel sah hingegen ihre Hauptaufgabe darin, ihr Institut vor Angriffen auf die Freiheit von Forschung und Lehre zu schützen. Methodische Mängel und der naive Umgang mit problematischem Material reichten allein nicht aus, um ein Seminar als Ganzes als antisemitisch zu brandmarken, wehrte sie sich. Das Gutachten der Amadeu Antonio Stiftung, das den agitatorischen Charakter der mit vielen Falschinformationen gespickten Dokumente herausstellt, lehnte sie als »fragwürdig« ab.
Ein neues Gutachten sei bereits in Auftrag gegeben worden. Es solle nicht nur die Dokumente, sondern das Seminar über die gesamten zehn Jahre inklusive der Prüfungsaufgaben untersuchen. Das Seminar oder gar die Hochschule pauschal als antisemitisch anzugreifen, wies Dienel zunehmend energisch zurück. In diesem Punkt der gegen sie vorgebrachten Vorwürfe herrschte allgemeine Einigkeit. Er entbehre jeder Grundlage.
seminar Dass andererseits das Seminar mit dem Hinweis auf die angeblich nicht mehr gewährleistete Sicherheit der Studierenden abgesagt wurde, hielten die Podiumsmitglieder für unbegründet. Zahlreiche Redner irritierte zudem, dass die Hochschulpräsidentin die Freiheit der Lehre ihrer Hochschule durch sogenannte einflussreiche Kreise erkannt haben wollte, die Gefährdung durch Antisemitismus aber nicht.
Die Dozentin Rebecca Seidler habe sofort für eine Eskalation gesorgt, indem sie nicht als Erstes die Hochschulleitung, sondern gleich den Zentralrat der Juden in Deutschland und den Ministerpräsidenten informiert und damit den Stein ins Rollen gebracht habe, griff Dienel ihrerseits Seidler an.
Sie habe als Erstes die zuständige Dekanin des Fachbereiches angesprochen, die ihre Einwände als »Überempfindlichkeit« abgewiegelt habe, konterte Seidler. Erst im Anschluss habe sie das Gutachten erstellen lassen, auch um sich selbst zu vergewissern, dass ihre Ersteinschätzung der Dokumente keine emotionale Überreaktion war.
hochschulpräsidentin Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden in Deutschland, warf angesichts der Verteidigungsstrategie der Hochschulpräsidentin die Frage auf, ob sie für ihr Amt geeignet sei. Henryk M. Broder griff aus dem Publikum heraus scharfzüngig die nach seinen Worten »extrem naive, unbedarfte Sichtweise« von Dienel an. Über den antisemitischen Charakter der Dokumente könne es keine Zweifel geben.
Das Publikum war überwiegend aufseiten der Hochschulkritiker. So lobte der Landtagsabgeordnete Michael Höntsch beispielsweise ausdrücklich die Rolle der Medien, die dank ihrer umfangreichen Berichterstattung erreichen konnten, das Seminar zu stoppen. Die Hildesheimer Hochschule sei künftig sensibilisiert im Umgang mit solchen Fragestellungen, versicherte Dienel. Mit welchem Rüstzeug sie in einem vergleichbaren Fall künftig eingreifen würde, ließ sie jedoch nicht erkennen. So bleibt die Frage weiterhin offen, ob an der HAWK auch künftig unter dem Mantel der Forschungsfreiheit Hasspropaganda verbreitet werden kann.