Eigentlich lautete das Thema der von der Europäischen Janusz Korczak Akademie in den Räumen der Duisburger Synagoge veranstalteten Podiumsdiskussion »Im modernen Ghetto – stehen unsere Identitäten Kopf?«. Doch gesprochen haben die Teilnehmer vor allem über Flüchtlinge, den Umgang der Juden und der jüdischen Gemeinden mit ihnen, den Erlebnissen mit ihnen, und was das alles mit den Erfahrungen zu tun hat, die viele Juden nach ihrer Flucht aus der Sowjetunion gemacht haben.
Die Journalistin und Schriftstellerin Lena Gorelik lebte, nachdem sie mit ihren Eltern aus Russland nach Deutschland kam, über ein Jahr lang in einer Barackensiedlung, umgeben von einem Stacheldrahtzaun. »Es gab Kinder, die durften mich nicht besuchen, weil ihre Eltern es ihnen verboten hatten. Klar ist, dass die Menschen möglichst schnell aus diesen Lagern heraus müssen, wenn man möchte, dass sie sich integrieren.«
Globalisierung Aber was ist Integration, und in was sollen sich die Flüchtlinge überhaupt integrieren? Für Gorelik war das eine Frage, die sich nicht mehr so eindeutig beantworten lässt, wie das vielleicht in früheren Zeiten einmal der Fall war. »Viele sehen Integration als einen abgeschlossenen Prozess, aber in einer globalisierten Welt ist das nicht mehr so. Es gibt Teile der deutschen Gesellschaft, wo ich mit meinem multikulturellen Hintergrund integrierter bin als ein Alois aus einem niederbayerischen Dorf.«
Was ihr und vielen anderen Juden die Integration leicht gemacht habe, sei der bildungsbürgerliche Hintergrund ihrer Familien gewesen. »Die meisten von uns stammen aus Akademikerfamilien, und es wurde von uns erwartet, sehr schnell sehr gut in der Schule zu sein. Das hat geholfen, die Sprache zu erlernen.« Entscheidend sei aber gewesen, sagte Gorelik, dass Menschen da waren, die Türen geöffnet haben. »Ob das in der Schule oder in der Gemeinde war: Da war immer jemand, der gesagt hat: ›Komm mit.‹«
Hilfe, sagte der Historiker und Pädagoge Awi Blumenfeld, sei für Juden schon von ihrem Glauben her eine Selbstverständlichkeit. »Da liegt jemand auf der Straße. Hilf ihm!« Als im Spätsommer 2015 die Züge mit Kriegsflüchtlingen in München ankamen, sei er einfach zum Bahnhof gegangen und habe mit angefasst. »Das war aber nicht immer gewollt. Ich hatte meine Kippa auf und habe dreimal gehört, dass man von einem Judenhund keine Hilfe annehme.« Viele Flüchtlinge seien in antisemitischen Gesellschaften groß geworden, und dies würde man auch oft merken.
Infrastruktur Mit der Situation der Juden aus Russland sei die der Flüchtlinge aus Nordafrika und dem Nahen Osten kaum zu vergleichen. »Es gab eine jüdische Infrastruktur in Deutschland, und es gab eine Auswanderung aus Russland seit den frühen 70ern. Wer hier ankam, konnte auf diese Strukturen zurückgreifen.« Eine Besonderheit sei es zudem gewesen, dass mit den Juden aus den Ländern der GUS, zumindest was die Gemeinden betraf, eine »Mehrheit in eine Minderheit« integriert wurde.
Laut Gerd Hankel, Mitarbeiter der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur sowie Fachmann für den Völkermord in Ruanda, ist es eine Schande für Europa, dass Deutschland 2015 fast alle Flüchtlinge habe aufnehmen müssen. Die Bandbreite der Menschen, ihre Fluchtgründe, ihr Bildungshintergrund, die Staaten, aus denen sie kommen, sei sehr groß, was die Integration erschwere. »Alles ist sehr komplex, und wir befinden uns in einem Lernprozess.«
Auf die Frage, ob Nordrhein-Westfalen auf der Suche nach Unterstützung bei der Integration der Flüchtlinge auch auf die jüdischen Gemeinden zugehe, musste Rainer Bischoff (SPD), Landtagsabgeordneter aus Duisburg, passen: »In einer idealen Welt wären die jüdischen Gemeinden ein normaler Teil der Gesellschaft, deren Wissen nutzbar wäre. Aber auf dieses Wissen wird nicht zugegriffen.«