Gemeindecoaching

Fit machen für die Zukunft

Die Gemeinden sollen beim Coaching mehr als nur Willkommenskultur lernen, dennoch ist sie ein wichtiger Bestandteil. Foto: Getty Images

Die jüdischen Gemeinden erhalten in diesen Tagen Post vom Zentralrat der Juden in Deutschland. Er will seinen Mitgliedsgemeinden, Landesverbänden und Organisationen helfen, sich zu stärken und sie dabei unterstützen, ihren Mitgliedern bessere Angebote machen zu können.

»Gemeindecoaching« heißt die Offerte, die vom Bundesinnenministerium, dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sowie vom Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefördert wird.

projekt Für den Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, ist »das Gemeindecoaching ein strategisch sehr wichtiges Projekt des Zentralrats und eine Investition in die Zukunft«. Derzeit hätten die jüdischen Gemeinden, ähnlich wie die Kirchen, eine ungünstige Altersstruktur, sodass die Mitgliederzahlen sinken, sagt Schuster.

»Das Gemeindecoaching ist ein strategisch sehr wichtiges Projekt des Zentralrats und eine Investition in die Zukunft«.

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden

»Zugleich wissen wir aus dem Gemeindebarometer, dass sich viele Menschen in den Gemeinden engagieren möchten. Daher erhalten die Gemeinden die Chance, sich professionell coachen zu lassen, um sich für die Zukunft fit zu machen und sich modern aufzustellen.«

Die Umfrage zwischen September und Dezember 2019 unter 2716 Jüdinnen und Juden in Deutschland hatte ergeben, dass die Mitglieder Schwächen bei den Angeboten der Gemeinden, der Mitwirkungsmöglichkeit und Transparenz gemeindepolitischer Beschlüsse, der Willkommenskultur halachisch nichtjüdischer Familienmitglieder und den daraus erwachsenden Angeboten für die Vielfalt jüdischen Lebens sahen.

Und trotz der hohen Zustimmung der Befragten zur Institution Gemeinde als ungemein wichtig, als verlässlicher Ort von Zuhause und Bildung, hatten 28 Prozent der Mitglieder schon einmal darüber nachgedacht, die Gemeinde zu verlassen.

trend Diesem Trend entgegenzuwirken und die Gemeinden fit für die Zukunft zu machen, sie wieder oder neu für Mitglieder attraktiv zu gestalten – mit diesem Ziel tritt nun das Gemeindecoaching an. Das Angebot soll ferner helfen, die Gemeindearbeit zu professionalisieren und die Gemeinden lokal und regional besser zu vernetzen.

In diesem Jahr sollen zunächst sechs Gemeinden oder Landesverbände für das Coaching ausgewählt werden.

Das werde in der ersten Analyse-Phase unter den Corona-Bedingungen nur digital oder im kleinen Kreis möglich sein, gibt Schuster zu bedenken. »Doch längerfristig hoffen wir ja alle in jeder Hinsicht, dass sich das Leben normalisiert. Und dann werden auch unsere Coaches in den Gemeinden ganz normal arbeiten können«, sagt der Zentralratspräsident.

Das Projekt laufe zunächst über drei Jahre, ergänzt Josef Schuster. »Dann werden wir schauen, wie hoch der Bedarf bei den Gemeinden noch ist und ob wir vielleicht spezielle Coachings zu bestimmten Fragen oder für bestimmte Zielgruppen anbieten.«

»Ein solches Coaching ist für die Zukunft unserer Gemeinden ungeheuer wichtig«, meint auch Ruth Röcher, Gemeindevorsitzende in Chemnitz. Die sächsischen Gemeinden hatten vor einigen Jahren ein ähnliches Angebot vom Joint und machen jetzt beim Gemeindecoaching des Zentralrats mit.

Drei Tage lang waren Mitarbeiter der amerikanischen Hilfsorganisation in Chemnitz und Leipzig und haben mit dem Vorstand, Jugendlichen und Gemeindemitgliedern Gespräche geführt.

BESTANDSAUFNAHME »Ein wenig Mut gehört schon dazu«, sagt Ruth Röcher, denn wenn so eine Bestandsaufnahme gewinnbringend sein soll, müsse sie sehr ernsthaft und lückenlos betrieben werden. »Es geht ja um die Frage: Was muss gemacht werden, damit die Gemeinde in Zukunft noch existiert?«, sagt Röcher.

Für ihre Gemeinde ginge es jetzt nach der Bestandsaufnahme darum, die praktische Umsetzung anzugehen. Wichtig ist Röcher, dass von außen ein objektiver Blick auf die Gemeinde und ihre Strukturen geworfen wird.

Es geht ja um die Frage: Was muss gemacht werden, damit die Gemeinde in Zukunft noch existiert?

Der Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe will auf jeden Fall mitmachen. Geschäftsführer Alexander Sperling sagt, er sei gerade dabei, den Antrag auszufüllen. »Wir mögen ja vielleicht als Landesverband professionell aufgestellt sein, aber unsere zehn Mitgliedsgemeinden sind sehr heterogen«, sagt Sperling.

Er erhoffe sich »eine nachhaltige Entwicklung für die jüdische Gemeinschaft«, so Sperling, »damit alle Juden möglichst in einer attraktiven Gemeinde leben und partizipieren können, unabhängige von den jeweiligen lokalen Gegebenheiten. Durch die Vernetzung unserer zehn sehr unterschiedlichen Gemeinden kann das Judentum in der gesamten Region gefördert werden«, ist Sperling überzeugt.

»Wir müssen jetzt handeln. Niemand wird alleingelassen. Das gilt für kleine und für große Gemeinden.«

Josef Schuster

Mit der Zukunft für die jüdischen Gemeinden sei es »so ähnlich wie beim Klimawandel«, sagt Josef Schuster. »Wir müssen jetzt handeln. Wenn wir in zehn Jahren eine so vielfältige jüdische Landschaft wie heute in Deutschland haben möchten, müssen wir aktiv werden. Es kommen Veränderungen auf uns zu, denen wir nicht ausweichen können und wollen. Diese Veränderungsprozesse zu meistern, dabei wollen wir die Gemeinden professionell unterstützen. Niemand wird alleingelassen. Das gilt für kleine und für große Gemeinden.«

In diesem Jahr sollen zunächst sechs Gemeinden oder Landesverbände für das Coaching ausgewählt werden. Die Bewerbungsfrist läuft noch bis zum 28. Mai.

www.zentralratderjuden.de/angebote/gemeindeentwicklung/gemeindecoaching/

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