In diesem Jahr heißt es in Frankfurt wieder: »Film ab!« Zum vierten Mal finden in der Metropole am Main die Jüdischen Filmtage statt, die vom 4. bis zum 18. September mit insgesamt 25 Filmvorführungen, Lesungen und Konzerten aufwarten.
Zu dem Empfang zur Eröffnung kamen am Sonntag zahlreiche Mitglieder der Jüdischen Gemeinde sowie filmbegeisterte Frankfurter ins Deutsche Filminstitut und Filmmuseum, das auch einer der offiziellen Partner des Festivals ist. Dessen Direktorin, Ellen Harrington, sagte zur Begrüßung: »Es ist besonders schön, wieder etwas Normalität zu erleben.« Die zwei Jahre der Pandemie seien eine herausfordernde Zeit gewesen.
Zu den Ausrichtern des Festivals gehört neben der Jüdischen Gemeinde das Kulturdezernat der Stadt Frankfurt, das an diesem Tag von David Dilmaghani, Büroleiter der Frankfurter Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig (SPD), repräsentiert wurde. Die Jüdischen Kulturwochen und Filmtage, die jeweils alle zwei Jahre immer im Wechsel miteinander stattfinden, seien »zum unverzichtbaren Bestandteil der Stadtkultur und eine starke Marke« geworden, sagte Dilmaghani.
GESELLSCHAFT Marc Grünbaum ist der Kulturdezernent der Jüdischen Gemeinde Frankfurt und damit Verantwortlicher für die Jüdischen Filmtage. In seinem Grußwort betonte er die wichtige Bedeutung von Kunst für eine offene Gesellschaft. Mit Blick auf die zahlreichen juden- und israelfeindlichen Kunstwerke auf der documenta in Kassel sagte er: »Antisemitismus auch unter dem Deckmantel der Kunst richtet sich gegen die Gesellschaft als Ganzes.«
Den Anfang machte die Romanverfilmung von
»Der Russe ist einer, der Birken liebt«.
Die Entscheidung, einen Schwerpunkt der Filmtage auf Osteuropa zu legen, nannte er »ein Zeichen unserer Solidarität, ein Zeichen gegen das Vergessen und ein Zeichen dafür, dass Leiden, Krieg und Flucht nie Normalität werden dürfen«.
DOLMETSCHER Den filmischen Anfang machte schließlich die Romanverfilmung von Der Russe ist einer, der Birken liebt, die auf dem Buch von Olga Grjasnowa beruht. Protagonistin der Geschichte ist die Jüdin Mascha, die in den 1990er-Jahren aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland ausgewandert ist. Die selbstbewusste Frau beherrscht mehrere Sprachen fließend, beginnt eine Karriere als Dolmetscherin und führt ein erfülltes Privatleben, als plötzlich ihr Alltag von einen Tag auf den anderen durch einen Unfall ihres Lebensgefährten aus den Fugen gerät. Kurz entschlossen kauft sie sich ein Flugticket nach Israel, um sich dort mit ihrer komplexen Identität auseinanderzusetzen.
ISRAEL Im anschließenden Podiumsgespräch mit der Regisseurin Pola Beck ging es auch um die schwierigen Dreharbeiten. Im Herbst 2020 sei man mitten im Lockdown nach Israel geflogen, um die Szenen des Films abzudrehen, die in dem Land spielen. Wegen der Verhängung mehrerer Quarantänen habe man dafür insgesamt fünf Wochen gebraucht. Immerhin: Pünktlich zum Filmfest in Frankfurt war der Film fertig und wird ab November deutschlandweit zu sehen sein.
Noch bis zum 15. September kann man in Frankfurt eine breite Palette an Filmen zu jüdischen Themen an verschiedenen Standorten betrachten. Kommenden Donnerstag kann man etwa im Kino »Cinemá« den Film Der Passfälscher sehen, in dem der Jude Cioma Schönhaus mitten im nationalsozialistischen Berlin versucht zu überleben – eine wahre Geschichte. Anschließend findet ein Gespräch mit Schönhaus‹ Enkel, Joschua Schönhaus, statt. Das Filmfestival bedient in diesem Jahr auch verstärkt queere Themen und zeigt zum Beispiel Concerned Citizens, in dem es um ein homosexuelles israelisches Paar geht, dessen liberales Weltbild auf die Probe gestellt wird. Zu sehen ist der Film von Regisseur Idan Haguel am späten Samstagabend im »Mal Seh’n Kino«.
HIGHLIGHT Für Marc Grünbaum ist ein »persönliches Highlight« des Festivals der jiddische Film Mamele aus dem Jahr 1938, der am Dienstag im Deutschen Filmmuseum gezeigt wird. »Ich finde es schade, dass die blühende Kultur des jüdischen Films aus der Vorkriegszeit aus Mangel an interessiertem Publikum selten gezeigt wird«, sagte er im Gespräch mit der Jüdischen Allgemeinen. Er selbst sei als Kind auf den Jüdischen Kulturtagen, die seit 1980 regelmäßig in Frankfurt stattfinden, von den jiddischen Filmen, die er dort sah, begeistert gewesen. Deshalb habe er sich dafür eingesetzt, dass der Film dieses Jahr in Frankfurt wieder gezeigt wird.
Kinder können an einem Workshop zu Animationsfilmen im Filmmuseum teilnehmen.
Grünbaum ist überzeugt, dass er und sein Team »ein sehr gutes und ein sehr vielfältiges Programm« auf die Beine gestellt haben. »Wir zeigen nicht immer das Erwartbare, sondern auch kleine Genre-Filme abseits des Mainstream-Kinos.«
Die Veranstaltungen gehen aber auch »über den Film hinaus«. Besonders gespannt sei er auf die Lesung der Journalistin, Historikerin und Autorin Alice Brauner, die am Sonntag ihr neues Buch Also dann in Berlin … über ihren Vater, den legendären jüdischen Filmproduzenten Artur Brauner, und ihre Mutter, Maria Brauner, vorstellen wird.
Für Kinder, die einmal selbst filmisch arbeiten wollen, gibt es im Rahmen des Festivals ein außergewöhnliches Angebot: Übernächsten Freitag können sie am »Workshop: Animationsfilm« im Filmmuseum teilnehmen.
RESONANZ Für Grünbaum ist es ein Anliegen, dass die Kulturarbeit der Gemeinde »nicht nur in die Jüdische Gemeinde, sondern auch in die Frankfurter Stadtgesellschaft« hineinwirke. Die gute Resonanz auf das Filmfestival auch von nichtjüdischen Frankfurtern zeige, dass dieses als ein »Fenster in die jüdische Kultur« wahrgenommen werde.
Dabei hilft es wohl auch, dass die meisten Corona-Maßnahmen mittlerweile aufgehoben wurden. Vor zwei Jahren habe das Festival noch in fast leeren Kinos stattfinden müssen. »Es war besonders«, kommentiert Grünbaum diese Bedingungen lakonisch. Heute dürfen immerhin 80 Prozent der Sitze belegt werden. »Das ist ein ganz anderes Gefühl«, so der Kulturdezernent.
www.juedische-filmtage.com