Ihre Augen leuchten. Eine Kinderschar hat sich um einen kleinen Tisch im Hof des Frankfurter Gemeindezentrums versammelt. Nacheinander dürfen sie kurz die geflochtene, bunte Hawdala-Kerze in die Höhe halten, die an diesem kühlen, windigen Samstagabend Licht und Wärme spendet. Während die Kinder fasziniert und gebannt auf die Kerze blicken, stimmt Gemeinderabbiner Avichai Apel zu Gitarrenklängen die Brachot zum Schabbatausgang und Wochenbeginn an. Die im Hof versammelten Eltern und ältere Gemeindemitglieder summen und singen erst zaghaft, nach einer launigen Aufforderung des Rabbiners auch hörbar mit.
Eine Hawdala im Freien: Diese Idee habe Vorstandsmitglied Marc Grünbaum eingebracht, sagt Gemeinderabbiner Julian-Chaim Soussan der Jüdischen Allgemeinen. Erstmalig sei sie unlängst in Basel von Rabbiner Moshe Baumel verwirklicht worden. Dort wurde die Hawdala gemeinsam im Wald begangen. Die Frankfurter Gemeinde hatte ursprünglich geplant, die Zeremonie auf dem Lohrberg, einem auf einer Anhöhe gelegenen Park mit Ausblick auf die Mainmetropole, zu feiern. Wegen des stürmischen Wetters musste die Veranstaltung jedoch in den Hof des Ignatz-Bubis-Gemeindezentrums verlegt werden.
Idee Warum hat man sich hier von der Basler Idee inspirieren lassen? »Das hat uns sehr angesprochen, weil durch Corona sehr viele Veranstaltungen, die wir normalerweise regelmäßig haben – Kindergottesdienste oder auch Freitagabend mit Eltern und Schülern und anschließendem Kiddusch –, in den letzten zwei Jahren weggefallen sind«, erläutert Rabbiner Soussan. Auch könnten viele Gemeindefeiern nicht mehr stattfinden. »Deshalb ist es eine großartige Möglichkeit, endlich wieder zusammenzukommen«, betont er. 180 Gemeindemitglieder hätten sich angemeldet, »um endlich gemeinsam wieder feiern zu können – im Freien«.
An zwei Feuerschalen können die Teilnehmer Marshmallows rösten.
Auch wenn nicht alle angemeldeten Teilnehmer ins Gemeindezentrum gekommen sind, herrscht dort von Beginn an eine festliche Atmosphäre. Kinder toben auf dem Spielplatz, die in Schals und warme Kleidung eingepackten Erwachsenen freuen sich bei israelischer Musik über die Begegnung mit Freunden und Bekannten aus der Gemeinde. Jeder Besucher erhält am Eingang eine kleine Tüte mit stark duftenden Gewürzen – den Besamim.
Bevor Apel die Hawdala-Zeremonie einläutet, betont Soussan den Stellenwert dieses Anlasses: »Das Ende des Schabbats hat eine schöne Bedeutung, denn der Schabbat ist der Ruhetag, der Moment, wo man ein bisschen Paradies spüren kann, wenn man alles richtig macht.« Man sei entspannt. Die Enttäuschung, wenn der Schabbat vorbei ist, sei dann ein wenig spürbar. »Wie wird die nächste Woche sein? Damit man ein bisschen von der Schönheit, von der Heiligkeit des Schabbats mitnehmen kann, macht man die Hawdala«, sagt Soussan. Es sei immer sehr schön, das Gefühl des Schabbats in die Woche hinauszutragen.
»Schawua tov, schawua tov«, singen die Anwesenden gemeinsam, sobald Apel die Hawdala-Kerze im Wein gelöscht hat. Die neue Woche hat begonnen. Soussan kündigt ein Büfett mit Getränken und Sandwiches sowie etwas Besonderes an: An zwei Feuerschalen können die Kinder und ihre Eltern an langen Holzstäben Marshmallows rösten. Schnell versammeln sich vor allem die jungen Teilnehmer am Feuer und grillen die Süßigkeit. Aber auch Soussan lässt sich die Gelegenheit nicht entgehen. Und schon bald entwickeln sich die Feuerschalen auch für die Erwachsenen zum kommunikativen Mittelpunkt des Abends.
Jugend »Es ist schön, wieder als Gemeinschaft zusammenzukommen«, freut sich Claudia, die das Geschehen an einem Stehtisch beobachtet. Sie liebe die Hawdala, sagt die Erzieherin des Gemeindekindergartens. Die Veranstaltung sei sehr schön. »Dieser Abend ist fantastisch«, freut sich auch Thomas Salter, der am Feuer steht und den Kindern beim begeisterten Rösten der Marshmallows zusieht. So könne man jungen Menschen die Hawdala beibringen – »ungezwungen, ohne Stress und Zwang«. Zur Hawdala in der Westend-Synagoge kämen normalerweise nur wenige, vor allem ältere Gemeindemitglieder, weiß Salter. Und wegen der Pandemie finde sie derzeit ohnehin nicht statt. Die beiden Gemeinderabbiner hätten einen guten Draht zur Jugend, lobt Salter.
Die Sehnsucht, wieder zusammenzukommen: Sie ist an diesem Abend deutlich zu spüren.
Rabbiner Julian-Chaim Soussan setzt unterdessen darauf, dass »das selbstverständliche Zusammenkommen« bald wieder zurückkehrt. »Wir hoffen sehr darauf, dass die Omikron-Welle den Höhepunkt überschritten hat und bald wieder eine gewisse Normalität zurückkehren kann«, sagt er. Es gehe um das Gemeinschaftsgefühl. »Die Menschen haben Durst auf das Zusammenkommen«, bestätigt Rabbiner Avichai Apel. Auch er hofft auf ein baldiges Abklingen der Pandemie: »Wir möchten das normale Gemeindeleben wiederhaben – und noch stärker als zuvor. Die Menschen wünschen es sich.«
Die Sehnsucht, wieder zusammenzukommen: Sie ist an diesem Abend deutlich zu spüren. In seinem Verlauf sieht man glückliche Kinder und zufriedene Eltern. Spätestens als der DJ Nettas ESC-Gewinnersong »Toy« auflegt, gibt es kein Halten mehr: Die Gemeinde tanzt.