Mit einem Teilnehmerrekord ist am Sonntag in Berlin der bisher größte Jugendkongress zu Ende gegangen. Mehr als 400 junge Juden zwischen 18 und 35 Jahren aus ganz Deutschland kamen zu der viertägigen Tagung nach Berlin. Organisiert wurde sie von der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden (ZWST) in Zusammenarbeit mit dem Zentralrat der Juden unter dem Motto »50 Jahre diplomatische Beziehungen Deutschland – Israel«.
In zahlreichen Workshops, Gesprächsrunden und Vorträgen diskutierten die Teilnehmer unter anderem über das Verhältnis der Bundesrepublik zum jüdischen Staat und über Zukunftsperspektiven der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Darüber hinaus bestimmten die Themen muslimischer Antisemitismus, Israelberichterstattung in deutschen Medien und die Beziehungen zwischen der israelischen Armee (IDF) und der Bundeswehr den Kongress.
resonanz »Wir sind sehr glücklich über die positive Resonanz der jungen Erwachsenen«, sagte ZWST-Vorstandsvorsitzender Abraham Lehrer zum Abschluss des Jugendkongresses. Das große Interesse an der Veranstaltung mache einmal mehr deutlich, wie wichtig es sei, in die Zukunft des Judentums in Deutschland zu investieren. Daher freue es ihn besonders, wie lebendig, positiv und engagiert die Gemeindemitglieder sich bei der Tagung eingebracht hätten.
Ein positives Fazit zog auch Aron Schuster, stellvertretender ZWST-Direktor. »Es war der zahlenmäßig größte Jugendkongress in der Geschichte der Tagung«, sagte Schuster. Aus ganz Deutschland seien junge Erwachsene nach Berlin gekommen, um gemeinsam zu diskutieren, zu beten und zu feiern. Angesichts des stärker werdenden Antisemitismus sei das ein starkes Zeichen, betonte Schuster. »Wir gehören zu Deutschland wie jeder andere Bürger auch – wir packen unsere Koffer allenfalls, um in den Urlaub zu fahren«, stellte er klar.
Erwartungen Dabei waren die Erwartungen der jungen Teilnehmer an die Veranstaltung in diesem Jahr angesichts der jüngsten Anschläge auf Juden in Europa und auch der Diskussion um No-go-Areas für Juden in Deutschland noch höher als in den Vorjahren. Die 20-jährige Ilana etwa war aus Köln zum Jugendkongress angereist und hoffte, zu erfahren, wie sie sich besser gegen Antisemitismus zur Wehr setzen kann. Am Rande der Eröffnung am Donnerstagabend tauschte sich die Madricha mit anderen Teilnehmern über die Anfeindungen in jüngster Zeit aus.
»Im letzten Jahr habe ich nicht so viel Schönes erlebt. Da hat sich jemand neben mich gesetzt und gesagt: Na, Jude, heute schon ein paar Kinder gebombt?«, berichtete Ilana. Auf Facebook bekomme sie zudem Hassnachrichten von Menschen, die sie überhaupt nicht kenne. »Ich bin schockiert, was in den vergangenen Monaten passiert ist.«
Auch Paul aus Offenbach (27) war zum ersten Mal dabei. »Dieses Jahr war es so, dass mich das Thema sehr interessiert hat. Während meines Politikstudiums habe ich mich sehr intensiv mit deutsch-israelischen Beziehungen beschäftigt. Das war auch eines meiner Abschlussthemen«, sagte er. Insofern erhoffte er sich weitere Ideen, etwa von der Diskussion am Freitag unter dem Motto »Die deutsch-israelischen Beziehungen gestern – heute – morgen«.
auftakt Begonnen hatte der Jugendkongress am Donnerstag mit der Begrüßungsrede von Josef Schuster. Der Zentralratspräsident sagte, die Ablehnung Israels durch viele Deutsche basiere auf Unwissen, hänge aber auch mit einseitiger Berichterstattung in vielen Medien zusammen.
Vielen Menschen sei gar nicht bewusst, dass sie antisemitische Stereotype verwenden, wenn sie in Bezug auf israelische Politik von »Genozid« sprechen und andere Vergleiche ziehen, die die Opfer der Schoa verhöhnten, so der Zentralratspräsident. »Diese Argumentationskette zu durchbrechen, ist sicher nicht leicht. Dafür braucht man Know-how der israelischen Geschichte und der heutigen politischen Lage«, sagte Schuster.
Empathie Das sei unter anderem auch Aufgabe der jungen Generation. »Auch für jüdische Jugendliche gilt es, sich Wissen über Israel anzueignen, in den jüdischen Staat zu reisen, Wissen über Israel weiterzugeben und mit Empathie über Israel zu sprechen.« Für die jüdische Gemeinschaft überall stehe bis heute fest: »Israel ist für Juden weltweit, in der historischen Erfahrung ganz besonders für Juden in Deutschland, unsere Lebensversicherung.« Das bedeute nicht, dass man alles in Israel unkritisch bejahen müsse, so der Zentralratspräsident: Aber etwas gehe »nicht und nie: den Staat Israel in seiner Existenz infrage zu stellen«, betonte Schuster unter Beifall.
Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter des Staates Israel, sagte, die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und der Bundesrepublik vor 50 Jahren sei von manchen Menschen als »Wunder« bezeichnet worden. »Wenn wir die derzeitige Lage in Europa und Deutschland betrachten, dann werden die Herausforderungen nicht kleiner«, so der Botschafter.
Kurzweilig und aufschlussreich war am Tag darauf die Gesprächsrunde mit hochrangigen Militärvertretern, darunter der ehemalige Generalinspekteur Harald Kujat, zu den wechselseitigen Beziehungen zwischen Bundeswehr und der IDF. Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, beleuchtete in seinem Vortrag Gefahren für die innere Sicherheit und stellte sich anschließend den Fragen der Teilnehmer. Ein Highlight am Samstag war der Workshop mit dem ehemaligen ARD-Nahostkorrespondenten Jörg Armbruster zur »Arabischen Welt im Aufbruch«, bevor dann am Abend nach der Hawdala die große Jugendkongress-Party mit 750 Gästen den Tag beschloss.
Abschlussdiskussion In der hochkarätig besetzten abschließenden Podiumsdiskussion am Sonntagvormittag forderte Daniel Botmann, Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, die jungen Erwachsenen auf, sich in den Gemeinden zu engagieren. »Jeder Einzelne von uns sollte versuchen, das jüdische Leben noch besser zu machen«, sagte Botmann. »Damit unsere jüdische Gemeinschaft in Deutschland noch aktiver, engagierter und attraktiver wird.« Als größte Herausforderung für das Judentum in der Bundesrepublik bezeichnete Botmann die Stärkung der Gemeinden. Es sei notwendig, Gemeindemitgliedern interessante Angebote zu machen und Raum für Mitgestaltung zu bieten.
Durchaus kritisch zum jüdischen Leben in Deutschland äußerte sich Jonathan Heuberger, Völkerrechtsberater im israelischen Justizministerium. Der in Frankfurt am Main aufgewachsene Jurist sagte, dass man ein wirklich modernes und frisches Judentum in Israel finde und nicht in Deutschland. »Nur dort gibt es die notwendige jüdische Infrastruktur.«
Dem widersprach Alexander Sperling, Geschäftsführer der Synagogen-Gemeinde Köln. »Egal ob große oder kleine Gemeinde: Hier gibt es schon lange wieder ein bewusstes jüdisches Leben mit allem, was dazugehört.« Als Herausforderung bezeichnete Sperling es jedoch, dass mehr als die Hälfte aller deutschen Juden nichtjüdische Ehepartner haben – und sogenannte Vaterjuden ohne Giur nicht Teil der Gemeinden werden können: »Das ist ein echtes Problem für die Gemeinden, das wir im Sinne unserer Gemeinschaft und unserer Zukunft unbedingt lösen sollten.«