Alles ist nur ein Spiel.» Der Mann, der diesen Satz geschrieben hat, sitzt auf dem Balkon seiner Wohnung in Berlin-Steglitz, schwer gezeichnet von seinem Krebsleiden, das Sprechen bereitet ihm Mühe.
«Das Leben ist nur ein Spiel», auch das steht auf der Homepage des 1948 im sowjetischen Moldawien geborenen Künstlers Alim Rijinachvili, «der Tod ist nur ein Spiel», und auch «Gesundheit und Krankheit sind nur ein Spiel». Rijinachvili weiß zu diesem Zeitpunkt bereits, dass ihm nur noch wenige Tage bleiben, dass er den Diagnosen der Ärzte zufolge die Eröffnung seiner letzten Ausstellung, für ihn die wohl wichtigste überhaupt, nicht mehr selbst erleben wird. Hilft ihm der Gedanke, dass alles nur ein Spiel sei, in diesen Tagen? «Ja, natürlich.»
Rijinachvilis Antworten sind an diesem Tag knapp, aber präzise: «Ja», «Natürlich», «Nein», «Warum?» oder auch «Das weiß ich nicht». Sie zeugen davon, dass in dem Körper, der seinen Dienst zusehends versagt, noch ein überaus wacher Geist wohnt. Auf Nachfrage erinnert der Künstler sich an Details aus seinem Leben, die er zugleich maximal verdichtet wiedergibt, ohne überflüssige Worte. So berichtet er über seine Kindheit im georgischen Tiflis, wohin die Familie, Moskauer Mutter, georgischer Vater, drei Jahre nach seiner Geburt umzog: «Wir haben sehr wenig Geld gehabt, fast keine Spiele für Kinder, aber das Leben war schön.»
Als Schüler, in der achten oder neunten Klasse, beginnt Rijinachvili, sich für Kunst zu interessieren, fertigt Kopien an von Bildern, die ihm gefallen. Nach der Schule studiert er in Tiflis an der Akademie der Künste, wo er 1973 seinen Abschluss macht. Die Frage, wer ihn künstlerisch beeinflusst hat, kann oder will er nicht beantworten: «Das ist schwer zu sagen, weil es so viele gute Künstler gibt.»
kontingentflüchtling Kosmopolitisch sei das Leben in Georgien gewesen, erinnert sich Rijinachvili, es habe viele talentierte Menschen gegeben und natürlich «Tanzen und Singen, Trinken und Essen». Für den durchschnittlichen Sowjetbürger in Russland verkörperte Georgien seinerzeit den Traum vom Süden, ähnlich wie Italien für die Deutschen. Und Moskau war weit weg: «Wir haben versucht, so frei wie möglich zu sein», berichtet Rijinachvili, «und diese Möglichkeit war da.» Freiheit in künstlerischer Hinsicht, Freiheit von der offiziellen Doktrin des sozialistischen Realismus.
Freiheit aber auch in materiellen Dingen. «Sehr, sehr gut» habe er als Künstler in der Sowjetunion gelebt, so Rijinachvili. Der Staat organisierte Ausstellungen, kümmerte sich um den Verkauf der Bilder auch in den Westen, die Künstler erhielten einen Teil der Einnahmen und konnten sich auf ihre Arbeit konzentrieren. All dies ändert sich 1990, als Rijinachvili angesichts der Wirren in seiner Heimat nach Deutschland übersiedelt, als jüdischer Kontingentflüchtling. «Wie in Kusturicas Filmen» habe die Ankunft in Deutschland ausgesehen, erinnert sich Rijinachvili mit einem Anflug von Sarkasmus.
«Mein Vater, dahinter wir, ich, meine Söhne, dann meine Frau. Nur Hunde und Schweine haben gefehlt.» Stattdessen hatte Rijinachvili Bilder im Gepäck.
freundschaft Die erste Zeit in Deutschland verbringt die Familie aus Georgien im Wohnheim, es ist schwierig, dort zu arbeiten. Rijinachvili spricht nicht gut Deutsch, hat wenige Kontakte in Berlin. Vom jüdischen Gemeindeleben hält er Abstand, da er es als Politik wahrnimmt und als Künstler damit nichts zu tun haben will.
Bei seinen Erkundungen der Berliner Kunstszene trifft er im Künstlerhaus Bethanien auf den Aserbaidschaner Ebrahim Ehrari, der bereits Jahre zuvor nach Berlin gekommen ist. Die beiden Männer freunden sich an, es ist eine Freundschaft, die ein Vierteljahrhundert andauern soll. Ebrahim Ehraris Tochter Parwane richtet mit ihrer Galerie Berlin-Baku Rijinachvilis letzte Ausstellung aus. Über Rijinachvili sagt Ehrari, die Kunst sei sein Leben gewesen.
Doch etwas veränderte sich nach der Ankunft in Berlin: «Hier in Europa hat er angefangen, an Geld zu denken, weil er leben musste, die Familie ernähren.» Rijinachvili, der selbst sagte, er habe «keine Nerven» für die Vermarktung seiner Bilder, sah sich in Deutschland vor genau diese Notwendigkeit gestellt. «Und da hat er die Bilder so gemacht, dass sie die Europäer besser verstehen konnten», sagt Ehrari. «Das hat seine Kunst verändert.»
Anerkennung Doch vielleicht mehr als die finanzielle Sicherheit scheint Rijinachvili die Anerkennung gefehlt zu haben, die er in seiner alten Heimat genoss. Er war mit dem Regisseur Sergej Paradschanow befreundet, in dessen Haus er in Kontakt mit Künstlern aus aller Welt kam. Vor allem aber habe ihn «die halbe Sowjetunion» gekannt, nicht er habe sich um Ausstellungen bemühen müssen, sondern die Leute seien auf ihn zugekommen. Kurz vor dem Ende seines Lebens zieht Rijinachvili ein bitteres Fazit: Wenn er noch einmal 25 Jahre zurückreisen könnte, würde er es anders probieren, in Georgien bleiben. «Alles dort wegzuschmeißen, das war nicht richtig.»
Es ist unklar, ob er diesen bitteren Gedanken die ganze Zeit mit sich getragen hat. Ebrahim Ehrari meint, Rijinachvili sei glücklich gewesen in Berlin, habe nicht nach Georgien zurückgewollt, obwohl er die Gelegenheit gehabt hätte. Doch vielleicht war Glück für Rijinachvili auch keine Frage des Wohnorts, sondern der Tätigkeit.
Das Gespräch auf dem Balkon hat ihn ermüdet, er spricht im Bett liegend weiter, hat sichtbare Schmerzen, nimmt Medizin. Doch als die Rede auf seine geplante Ausstellung kommt, richtet er sich noch einmal auf, seine Augen beginnen zu leuchten. Er berichtet vom vergangenen Dreivierteljahr: «Es war eine sehr schöne Zeit. Ich war so glücklich wie fast niemals. Denn diese Krankheit hat den Kopf freigemacht von allem. Und man kann sehr leicht und sehr gut arbeiten. Und damals hatte ich noch Kraft, bin nachts aufgestanden, und dann nochmal ein bisschen schlafen und nochmal arbeiten. Aber diese Arbeit hat sehr viel Spaß und mich sehr glücklich gemacht.»
Zwei Tage später stirbt Alim Rijinachvili im Alter von 68 Jahren. Seine Ausstellung Der letzte Marsch wird ohne ihn am 26. Juni in der Galerie Berlin-Baku eröffnet.
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