Vor nicht allzu langer Zeit waren die Autorinnen Shelly Kupferberg und Barbara Bišický-Ehrlich zu Gast in München, beide mit Familiengeschichten. Kupferberg stellte im Literaturhaus München das Ergebnis ihrer Spurensuche zu ihrem Urgroßonkel Isidor. Ein jüdisches Leben vor, die sich als eine hervorragend recherchierte und stilistisch durchkomponierte Studie über den letzten Höhenflug und tödlichen Absturz des Wiener Judentums am Beispiel ihres Vorfahren erwies.
Bišický-Ehrlich, die bereits 2018 mit Sag’, dass es dir gut geht Einblick in ihre Familienchronik gegeben hatte, bleibt mit ihrem zweiten Buch Der Rabbiner ohne Schuh im Hier und Heute. »Kuriositäten aus meinem fast koscheren Leben« stellte sie in einer launigen Lesung im Jüdischen Museum München vor.
erinnerungen Kupferberg, 1974 in Tel Aviv geboren, kam als Baby mit ihrem kriegstraumatisierten Vater und ihrer pragmatischen Mutter, die Hebräischlehrerin an der Jüdischen Schule wurde, nach Westberlin. Dank der Erinnerungen ihres Großvaters, des aus Wien stammenden Historikers Walter Grab (1919–2000), vor allem der von ihm gesammelten Familiendokumente, wurde ihr Interesse am Urgroßonkel geweckt.
Ausgehend von dem, was sie zudem im Nachlass des Großvaters fand, rekonstruierte Shelly Kupferberg die Biografie eines Aufsteigers aus dem ostgalizischen Schtetl Tlumacz zum vermögenden, angesehenen Selfmademan in Wien: »Mein Urgroßonkel war ein Dandy. Sein Name war Isidor. Oder Innozenz. Oder Ignaz. Eigentlich aber hieß er Israel.« Die Folgen des österreichischen Anschlusses an Nazi-Deutschland unterschätzte er – mit verheerenden Folgen für sein Leben.
Bei Bišický-Ehrlich geht es um die Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland. Und die erträgt man am besten mit Humor. Bišický kam 1974 in Frankfurt als Kind tschechischer Emigranten zur Welt. Großvater und Vater erwiesen sich durch den Verkauf angesagter Kleiderrestposten (wobei Schmates das jiddische Synonym für Klamotten aller Art ist) als erfolgreiche »Schmatologen«.
episoden Die 34 Episoden beginnen mit dem Ende, der Scheidung von Lior Ehrlich, von dem der Autorin der zweite Teil ihres Nachnamens und drei Kinder blieben; dicht gefolgt von der turbulenten jüdischen Hochzeit in Prag, an der auch (ein) Gott mit dem Vornamen Karel teilnahm und die Gäste mit dem Lied von der Biene Maja begeisterte.
Bišický-Ehrlich studierte Theaterregie und Dramaturgie in Prag, sammelte praktische Erfahrung beim SWR und bei einer PR-Agentur. Als viel gebuchte Synchronsprecherin weiß sie, wie man mit der Modulation der Stimme den Subtext von Alltagsmomenten zum Klingen bringt. Jüdischkeit lernt man auch in einer areligiösen Familie, zu Hause fühlt man sich beim mütterlichen Essen, das die tschechische Küche ins Frankfurter Exil exportierte; für die Tochter aber sind »all die Dinge, die ich tue (…), untrennbar mit der deutschen Sprache verbunden«.
Barbara Bišický-Ehrlich: »Der Rabbiner ohne Schuh. Kuriositäten aus meinem fast koscheren Leben«. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2022, 160 S., 16 €
Shelly Kupferberg: »Isidor. Ein jüdisches Leben«. Diogenes, Zürich 2022, 249 S., 24 €